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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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wieder hügelig, und hinter jeder Erhebung soll der Kirchturm von Gammels hausen dorf schon sichtbar sein, u er bleibt unsichtbar. Es war eine schwere Strapaze und auch Aufregung. Endlich um ¾ neun sind wir in G., fragen uns zum Pfarrhaus durch und stehen mit vergeblichem Klingeln vor verschlossenem Thor. Verzweifelt zum nahen Wirtshaus, eine gutmütige Frau, aber sie hat keinen Platz. Sie gibt uns Bier zu trinken, sie verspricht uns für den Notfall ein Lager in der Scheune, aber erst soll ich einmal drüben beim * Wagner Schmid anfragen. Ich gehe hinüber, glaube in einem zweiten Gasthaus des Ortes zu sein, bin stattdessen (die Leute lachen über meinen Irrtum) bei einem Bauern der gleichzeitig Wagner von Beruf ist, auf meinen kurzen Bericht hin, dass ich zum Pfarrer gewollt, dass ich als Professor nachhause müsse ..., wohl auch auf mein sehr erschöpftes Aussehen hin wunderbar aufgenommen. * * Flamensbecks redivivi, 2 beinahe Überflamensbecks – man soll nie sagen DER oberbayrische Bauer oder DER Bauer, man soll nie DER sagen. (Und muss es doch immer wieder sagen.[)] Wir bekommen Ochsenaugen[] zum Abendbrod, wir bekommen Milchkaffee, das Radio berichtet über * Streichers Gefangennahme 3 und Ähnliches, der Hausherr und seine mir noch nicht entgliederbare Familie sprechen interessiert und sym- pathisch Politik, katholisch antinazistische natürlich – ich bin bei solcher Gelegenheit immer der wahrscheinlich auch katholische, jedenfalls stark religiöse hohe Schulmann, der regelmässig mit dem Satz operiert und Herzen gewinnt: Vor allem muß die Jugend wieder die zehn Gebote lernen Womit ich übrigens wirklich das Wesentliche sage und auch meine eigene Überzeugung ausspreche (zugleich aber doch Versteck spiele.) Ende gut alles gut: Der Tag schliesst in guten Betten mit Glücksgefühl. Ein Sportsieg, wir sind an diesem zweiten Tag 27 km seit Freising fast ganz zu Fuss vorwärtsgekommen, wir sind hier in Gammels[dorf] reichlich 60 Km von München entfernt.
    Das also war der zweite Wandertag, Sonntag, 27. Mai, Strecke Freising–Gammels hausen dorf.
     

 
    Für Montag hatten wir uns nach diesen Strapazen einen halben Rasttag angesetzt, er verlief teils gut, teils ungut. Die Enttäuschung bestand darin, dass wir weder den Pfarrer antrafen, noch unsere Einkäufe tätigen konnten – damit glückte es fast nie, denn entweder verlangte man Umstempelung oder Umtausch unserer Urlaubermarken, od diese Marken wurden überhaupt nicht anerkannt, oder es war gerade eine neue Bestimmung oder Ausserkraftsetzung im Radio bekanntgegeben worden, oder die Läden waren geschlossen, oder man lachte uns einfach aus, wenn wir Marken anboten – etwas stimmte nie, u entweder bekamen wir unsere Nahrung bloss so oder überhaupt nicht. Im Anfang hat mich das sehr erregt, nachher stumpfte ich dagegen ab: an zeitweises Hungern und an Betteln gewöhnte ich mich, und richtiges Verhungern war eben eine Todeschance unter den vielen Todeschancen der letzten Monate, u schliesslich nur eine sehr kleine, denn schliesslich stiess man ja vorderhand noch auf Verpflegstationen für Militärheimkehrer und Flüchtlinge ... Der Enttäuschung stand gegenüber, dass ich mich richtig waschen und rasieren konnte, dass uns ein zweites Gasthaus Mittagessen und ein bisschen Brod versprach und vor allem, dass uns das Haus * Schmid ungemein freundlich behandelte. Wir bekamen ein reichliches Frühstück (Milchkaffee und Brod – der Reichtum an Milch blieb bis über Regensburg hinaus, bis zum Auftauchen der Fabrikschlote, also etwa bis Weiden). Der noch junge Bauer, Witwer einer Witwe, mit erwachsenen Stieftöchtern hausend, zeigte uns stolz seine Wirtschaft, den vollen Stall, die an Traditionserlaubnis gebundene Hopfenpflanzung (ein Signum der ganzen Gegend, an Sondererlaubnis schon vor der * Hitlerei gebunden), die Werkstatt mit einigen fertigen Deichseln und Jochbögen, mit einigen krummen eben für Wagnerzwecke ausgesuchten Naturhölzern. Wir wollten [ der ] dem wirtschaftsführenden Mädchen zahlen, sie wollte nichts nehmen, sagte schliesslich, ich möge, damit Sie a Ruh geben, für alles zwei Mark zahlen. Ich tat es und als wir uns verabschieden wollten, fühlte sie sich nun verpflichtet, uns noch verschiedene Eierkuchen vorzusetzen und etwas Brod für die Wanderung mitzugeben. Danach mussten wir noch das verabredete Mittag im Gasthaus essen, und auch hier bekamen wir Brod mit. So hatten wir für eine Weile ausgesorgt ... Um zwei, sehr vollgegessen und

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