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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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sich an den von Erdhügeln durchsetzten und von Hundekacke bedeckten großen Wiesen, zwischen den Hochhäusern oder am Fluss auf dem Mofa an mich schmiegte. Lorette und ihre kleinen Flaschen, die sie überallhin mitnahm, die sie in den Taschen ihres langen schwarzen Mantels versteckte, ihr Mund und ihre Zunge in meinem und an meinem Schwanz im Kino, ihre Hände auf meinem Bauch und meiner Brust, wenn wir uns in der heißen S-Bahn am Ende eines Waggons aneinanderschmiegten und auf den aufgeschlitzten braunen, mit wasserfesten schwarzen Tags beschmierten Ledersitzen durchgeschüttelt wurden. Lorette im Bus, wie sie sich mit dem Kopf an der Scheibe und noch von Schlaf umfangen die Strähnen aus dem Gesicht blies. Lorette nackt in der Umkleide des Schwimmbads, wie sie mich herbeiwinkte, und meine Zunge in ihrem frischen, nach Chlor schmeckenden Geschlecht. Lorette und ihre Augen, aus denen sie mich hasserfüllt oder voller Selbstekel anstarrte, wenn ein anderer sie in der Abenddämmerung an einem Baum im dunklen Wald nahm, während gedämpft die Bässe zu uns drangen und sie mich sah, obwohl ich mich im Farn versteckte, und mein Blick, der den ihren fixierte, und die Hand, die ich an mein Geschlecht legte. Lorette und ihre sich über die Knochen spannende Haut, ihr Geruch nach Erbrochenem in den Mundwinkeln und ihre hohlen Augen, ihre Wangenknochen, die mich beim Küssen drückten, und ihr ganzer Körper, der den Eindruck machte, als würde er zerbrechen, wenn ich sie in den Arm nahm, so wie man glaubt, man könnte einen Vogel zerquetschen, den man in Händen hält. Lorette und ihre Schwester, Seite an Seite am Meer und die Füße im Sand, es war Frühling, und wir waren hingefahren, ohne jemanden zu fragen, auf dem Schulweg waren wir alle vier frühmorgens zur S-Bahn ausgebüxt, am Bahnhof von Montparnasse in einen Zug umgestiegen und im Morgendunst in Saint-Malo angekommen, wir setzten uns ins Café de l’Ouest, tranken Kaffee und rauchten Zigaretten, wir rochen das nur zwei Schritte entfernte Meer, die Seeluft gerbte uns Gesicht und Hände, die Augen brannten, und die Ohren dröhnten vom Tosen der Wellen und vom Geschrei der Vögel. Lorette, wie sie sich am riesigen Strand, an dem die steigenden Fluten gegeneinanderliefen, an mich kuschelte, mir Sand in den Mund stopfte, mich umstieß und küsste, dass unsere Zähne knirschten. Lorette und ihre Schwester, wie sie Hand in Hand spazieren gingen und sich zum Verwechseln ähnlich sahen mit dem schwarzen Lidstrich, dem dunklen Lippenstift und dem gefärbten Haar. Oder wie sie eng umschlungen durch die Gänge des Supermarkts schlenderten, sich abwechselnd auf die Lippen küssten und ein Skandalpärchen spielten, dem verstörte alte Männer und sprachlose Frauen mit bis zum Rand vollgestopften Einkaufswagen nachblickten, in denen sich Waschpulver, Klopapier, Tiefkühlfleisch, Nudeln und Süßigkeiten für die Kinder, Haushaltswaren, Zucker, Butter und Mehl, Putzmittel, Viererpacks Socken und Kordsamtpantoffeln türmten. Lorette und ihre Augen auf meinen, ihr Mund, der still ein »Ich liebe dich« formt, das ich von ihr nie laut gehört habe, und gleich darauf diesmal aus voller Kehle: »Ich hasse dich. Was bildest du dir ein, du Blödmann. Du vögelst mich, mehr nicht, du küsst mich, mehr nicht.« Lorette und ihre tiefe Stimme, wenn sie mit ihrer Mutter telefonierte, die haargenauso aussah wie sie, eine zierliche, schlanke Frau mit schwarzen Augenringen, die wir nie oder fast nie zu sehen bekamen und die sie angeblich hasste, auch wenn ich am Ende des Telefonats manchmal ungewöhnlich zärtliche Worte aus ihrem Mund vernahm. Lorette erzählte uns, sie arbeite in einer Bar, Laetitia behauptete, sie sei Kassiererin an einer Tankstelle, und ihre schlecht abgestimmten Versionen ließen Antoine und mich eine Lüge vermuten, der wir nie auf den Grund kamen. Wer waren sie eigentlich, diese beiden siamesischen, unberechenbaren Schwestern, deren Stimmung schlagartig von himmelhochjauchzend in zu Tode betrübt umschlagen konnte? Was wissen wir über die, die uns küssen, wenn wir noch Kinder sind? Nichts. Wir küssen sie zurück, mehr nicht, wir drücken sie, so fest wir können, und sie erwidern unsere Geste, indem sie uns noch fester drücken.
     
     
     
     
     
    Mein Bruder war neunzehn, als er von zu Hause auszog. Ich tat das Gleiche gut ein Jahr später, ohne meinen Vater nach seiner Meinung zu fragen, ich ließ ihn allein in seinem heruntergekommenen Haus mit der sich in

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