Knecht – Die Schattenherren II
Abschnitt der Küste auch. Allein die lenkende Wirkung der Topografie führte zu dem außergewöhnlichen Effekt. Hier war es ebenso. Was Bren als unbestimmtes Rauschen wahrnahm, waren die Träume der Bewohner von Blutstein. Er verstand nicht, auf welche Weise sie es taten, aber die Edlen auf der Spitze derPyramide griffen in die Gedanken der schlafenden Menschen, wie ein Knabe Wasser aus einem Bach schöpfte. Sie rührten darin, fächerten die Träume in eine Richtung, verwirbelten sie.
Kiretta ritt ihn, als sei er ein junger Hengst. Kurz nur klärte sich sein Blick in die Welt des Greifbaren. Er sah seine eigenen Hände auf ihren vollen Brüsten, entblößt von dem weit heruntergerutschten Mieder, ihren zurückgeworfenen Kopf, den feinen Schweiß auf ihrer Haut. Sie hatte ihren Rock nicht abgelegt, er umfloss ihre Schenkel und lag auf seinem Bauch. Er wollte sich nicht durch diesen Genuss ablenken lassen! Er musste verstehen, was die Traumlenker taten. Bren nahm noch einen tiefen Zug aus der Rauschkrautpfeife.
Diesmal sah er mehr als nur Farben, er fühlte sich gerufen und folgte zwischen verschlungene Feuerranken. Hitze sengte seine Haut, Helligkeit schmerzte ihn, aber er fühlte sich auch stark, als sei er der unverwundbare Ursprung der Flammen. Er drehte sich. Neben ihm, über, unter ihm – überall war Feuer. Erst leckte es an ihm, dann durchdrang es ihn, brannte heiß in seinen Muskeln. Er glaubte, vor Kraft zu bersten, sah sich nach etwas um, an dem er sich messen könnte, und fand einen nachtschwarzen Stier. Er rannte auf ihn zu, bevor der Stier seinerseits den Kopf senkte und zum Angriff überging. Bren fasste ihn an den Hörnern, schleuderte ihn herum, genoss die Belastung seines Traumkörpers. Nie war er so stark gewesen. Er löste sich, um nicht völlig in der Vision gefangen zu werden.
Kurz nur spürte er seine Hände, wie sie in der anderen Wirklichkeit über Kirettas vom Schweiß schlüpfrige Haut fuhren, gebremst nur von den harten Knospen ihrer Brüste.
Er gab dem Zug eines anderen Traumlenkers nach. Er sah Ligatas Bild, flach und tief zugleich. Es drehte sich um dieeigene Achse, teilte sich, wurde zu vielen Bildern, die in einem Palast hingen, hundert Gemälde zwischen einhundert Fenstern. Die Fenster verloren an Tiefe, wurden zu Bildern, die Bilder dagegen flohen in die Weite, wurden zu ganzen Landschaften, Meeren und Dschungeln und Wüsten. Bren spürte, dass er nicht allein in diesem Schloss war. Viele Träumer waren bei ihm, staunten, bewunderten. Bren kämpfte gegen seine Faszination, rief sich ins Gedächtnis, dass dies nur ein Traum war, dass irgendwo der Traumlenker sein musste. Du bist nicht wirklich, dachte er jeder Erscheinung entgegen. Und tatsächlich erschienen sie ihm irgendwann unecht, verloren an Farbe, wurden durchsichtig. Er erkannte den Traumlenker. Er sah jemandem ähnlich, von dem er wusste, dass er sich auf der Pyramide aufhielt, nur war er jünger, kräftiger, schöner. Er schien angestrengt. Bren schwebte nun über dem Palast mit den Bildern. Er sah, dass das Gebäude unvollständig war, nur ein Flügel existierte, danach zerfaserte es in Farben. Der Traumlenker deutete auf diesen oder jenen Teil seiner Schöpfung, verformte ihn, änderte den Traum. Bren sah auch die Reaktion der Masse, ihr Staunen. Nicht, weil er Gesichter erkannt hätte. Er spürte die Gefühle. Und … er sah etwas, das er von den Osadroi kannte. Als silbriger Schaum löste es sich, stieg auf wie Wasserdampf, funkelte in der Luft. »Essenz«, murmelte Bren. Er verstand. Die Traumlenker verwendeten Dinge, die sie selbst beeindruckt hatten, um damit die Gefühle der Träumer anzuheizen. Auch die Schattenherren nutzten Emotionen als Brücke für die Lebenskraft, nach der sie riefen. Die Traumlenker waren wie der Kult in Ondrien – sie ernteten die Essenz! Ein Gedanke, der Bren so sehr aufregte, dass er aus dem Traum zu fallen drohte.
Er sah Kirettas glänzendes Gesicht, ihre flatternden Lider. Von Ferne hörte er ihr Stöhnen. Bren löste sich, suchte nach der Pfeife, griff sie, schob Kirettas Kopf beiseite, zog das Mundstück zu sich, wie ein Verdurstender es mit einem Wasserschlauch getan hätte. Er atmete tief aus, leerte seine Lungen. Dann sog er so viel Rauch ein, wie er nur konnte, füllte seine Brust damit.
Bren dachte nur: Aufwärts! Wie ein Taucher, der der Wasseroberfläche entgegenstrebte, ohne zu säumen. Er sah Traumbilder, aber er verwehrte sich, an ihnen zu verweilen. Nicht nur
Weitere Kostenlose Bücher