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Knochenfinder

Knochenfinder

Titel: Knochenfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Lahmer
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Ewan McGregor in der berühmten Trainspotting -Szene, dachte Natascha und spürte einen seltsamen Stich in der Magengrube. Plötzlich wünschte sie sich nur eines: nach Hause zu fahren und diesen Mann mitzunehmen.

Kapitel 19
    Er lag mit offenen Augen in der Höhle, starrte in die Dunkelheit. Dorthin, wo das Böse lauerte.
    Er versuchte, sich abzulenken und an etwas Schönes zu denken. Zum Beispiel an den Tag, an dem er Nina kennengelernt hatte. Doch seine Gedanken kehrten immer wieder zu der Szene zurück, mit der das Verhängnis begann. Er konnte die Bilder in seinem Kopf weder anhalten noch verbannen. Sie kamen einfach immer wieder.
    Warum nur musste ihm das alles passieren? Was hatte er denn gemacht? Er hatte es einfach nicht verdient – hatte dieses ganze beschissene Leben nicht verdient. Zu Hause kannte er nur Streit und eisige Gleichgültigkeit: Die eigenen Eltern schienen sich nicht im Geringsten für ihn zu interessieren. Vielleicht war er ja im Krankenhaus vertauscht worden, und seine richtigen Eltern hatten sich all die Jahre um das falsche Kind gekümmert. Ein Schluchzen kroch seine Kehle hinauf, doch er unterdrückte es, schluckte es runter – so wie er immer alles runterschluckte. All seine Gefühle.
    Erneut tauchte die Szene in seinem Bewusstsein auf. Er sah sich selbst wie durch eine Kamera, sah sich aus dem Gebüsch auf den Parkplatz kommen. Sah, wie er den Mann am Steuer ansprach, der ihn anlächelte und ihm den Beifahrersitz anbot. Wie in einer Endlosschleife tauchte diese Szene auf – immer wieder. Er musste sie immer wieder aufs Neue durchleben, als wollte ihn sein Unterbewusstsein noch zusätzlich quälen.
    Doch nach einer Weile gab es Variationen im Ablauf der Bilder; und von Mal zu Mal änderte sich ein kleines Stück in dem Filmstreifen. Schließlich wurde er selbstbewusster und mutiger: Er kam aufrecht aus dem Gebüsch, verhöhnte den Mann oder rammte ihm das Knie zwischen die Beine. Manchmal tauchte auch plötzlich eine Pistole auf. Dann nahm er sie und schoss auf den Kerl. Zufrieden sah er zu, wie das Blut aus einer riesigen Stirnwunde spritzte. Hin und wieder drückte er gleich noch einmal ab oder schoss gar das ganze Magazin leer und ließ sich von dem warmen Blut des Fahrers besudeln. Dieses Bild genoss er am meisten.
    Doch irgendwann holte ihn wieder die Wirklichkeit ein. Er spürte, dass es kalt um ihn herum war, dunkel und feucht. Und er war kein Held mehr, der seine Gegner mit einer Schusswaffe durchlöcherte. Jetzt war er wieder klein und machtlos. Und verletzt. In diesem Moment wuchs die unterdrückte Wut auf seine Eltern. Sie hatten ihn vertrieben mit ihrer ewigen Streiterei! Wenn die ihm ein halbwegs normales Zuhause geboten hätten, wäre er doch niemals weggelaufen. Die zwei sollten hier liegen – nicht er! Das hatte er nicht verdient!
    Er kniff die Lippen zusammen und schluckte. Vorsichtig versuchte er, sich vom Rücken auf die Seite zu drehen. Es tat weh. Die Schultern schmerzten, die Streckung des Brustkorbs erschwerte das Atmen. Das hatte er jetzt davon. Es gelang ihm nicht, seine Position zu verändern, und er kippte in seine vorherige Lage zurück: mit auf dem Rücken gefesselten Armen, die mit den Fußknöcheln verbunden waren. Wäre er doch nur die ganze Zeit hier liegen geblieben, statt wegzukriechen und sich schlussendlich in der Pfütze erwischen zu lassen!
    Die resignierte Bitterkeit seiner Gedanken fraß mit einem Mal alles Farbige, Positive in ihm auf und hinterließ eine große Schwärze. Wie sollte er hier jemals wieder rauskommen?
    Es war so schrecklich gewesen! Hilflos hatte er in der Pfütze gelegen, in das grelle Licht geblickt und nur eines gesehen: die Spritze.
    In wilder Panik hatte er versucht weiterzukrabbeln, aber der Mann hatte nur gelacht. Die Stellen unter den Achseln, an denen er ihn roh gepackt hatte, taten noch immer weh. Aber auf den Knien hatte sich schon ein Schorf gebildet, die Schürfwunden heilten also schnell. Nur die Steinchen in der Haut seiner Ellbogen fühlten sich an wie winzige Nadelstiche.
    Aber die waren nichts gegen den großen stechenden Schmerz.
    Obwohl er geschrien und den Kopf hin und her geworfen hatte, war es ihm nicht möglich gewesen, echte Gegenwehr zu leisten. Der andere war stärker, hatte ihn einfach auf die Matratze zurückgezogen, auf der er inzwischen schon seit einer gefühlten Ewigkeit lag.
    Der Mann hatte ihn an den Schultern gepackt und ihm die Spritze in den Handrücken gedrückt. Danach war wieder alles

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