Knochenhaus (German Edition)
schlimmsten Erlebnissen seines Lebens. Er weiß noch, dass der Kerl allen Ernstes ein Gespräch mit ihm anfangen wollte, dass er, so unglaublich das klingen mag, tatsächlich versucht hat, freundlich zu sein. «Sprich mich verdammt noch mal nicht an», hat Nelson ihn angefaucht, noch ehe sie am Ortsrand von Manchester waren. Doch vor allem ist ihm der Geruch im Gedächtnis geblieben. Der Mann hatte im Gefängnis bestimmt geduscht, und trotzdem stank er regelrecht: ein unerträglich fauliger Geruch nach ungewaschener Kleidung, ungelüfteten Zimmern, nach Angst und einer unaussprechlichen Besessenheit. Als Nelson in jener Nacht nach Hause kam, wusch er sich und duschte drei Mal, doch manchmal hat er diesen Gestank noch heute in der Nase. Den Gestank des Bösen.
Auch Orte verströmen diesen üblen Geruch. Die Gästetoilette im Keller, wo er einmal die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden hat, das von seiner Mutter ermordet worden war; die zugemüllte Seitengasse, wo er mit ansehen musste, wie sein Kollege erstochen wurde. Der gottverlassene Strand, wo er gemeinsam mit Ruth die Leiche eines weiteren kleinen Mädchens ausgegraben hat. Oft ist es nicht einmal ein realer Gestank, und doch liegt etwas in der Luft, eine Schwere, eine Ahnung von Heimlichtuerei und von Dingen, die im Verborgenen vor sich hin modern.
Genau das hat Nelson auch heute auf dem Baugrundstück gerochen. Egal, wie viele Jahre vergangen sind, seit der kleine tote Körper unter den Bodendielen vergraben wurde – der Geruch ist immer noch da. Hier hat ein Mord stattgefunden, davon ist Nelson überzeugt.
Das Kinderheim wurde 1981 geschlossen, danach waren in dem Haus irgendwelche Behörden untergebracht. Und nun will Edward Spens dort fünfundsiebzig Luxusapartments bauen lassen.
«Fünfundsiebzig!», hat Nelson wiederholt, als Spens ihm davon erzählte. «Das werden ja wohl eher fünfundsiebzig Luxus-Kaninchenställe.»
Edward Spens hat natürlich gleich angerufen, kaum dass Nelson und Clough zurück auf dem Revier waren. Er gab sich betont herzlich und sonderte ununterbrochen Phrasen rund um seine «Bürgerpflichten» ab, brachte es aber trotzdem fertig, immer wieder seinen ach so guten Freund Gerry Whitcliffe zu erwähnen sowie den neuen Wohnraum, die neuen Arbeitsplätze und die Sanierungsmaßnahmen, die die Stadt so dringend benötige. Blablabla.
«Ich verstehe ja, dass Sie frustriert sind, Sir», gab Nelson zur Antwort. «Aber Sie müssen auch einsehen, dass es hier um Ermittlungen in einem mutmaßlichen Mordfall geht.»
«Ein Mordfall?» Spens klang genau so schockiert, wie Nelson das beabsichtigt hatte. «Aber diese Knochen können doch gut und gerne mehrere hundert Jahre alt sein. Ted, der Archäologe, meinte, auf dem Grundstück sei im Mittelalter einmal ein Friedhof gewesen.»
«Das wird sich alles zeigen, Sir. Ich lasse die Knochen gerade durch Doktor Ruth Galloway von der hiesigen Universität analysieren und bin zuversichtlich, dass sie in ein paar Tagen eine grobe Einschätzung für mich hat.»
«Und diese Ruth Galloway ist auch wirklich die beste Adresse dafür? Ich könnte meinen Bekannten Phil Trent von der Universität fragen. Er kann uns vielleicht jemand … Erfahreneres empfehlen.»
«Doktor Galloway leitet das Institut für forensische Archäologie», erwiderte Nelson steif. «Sie ist eine allseits anerkannte Knochenexpertin.» Ruth beklagt sich zwar immer, das höre sich an, als wäre sie ein Spürhund, aber Spens scheint es ruhigzustellen, zumindest für den Moment.
Die ganze Sache kostet Spens eine Menge Geld, denkt Nelson nicht ohne Befriedigung, als er von der M25 nach Gatwick abbiegt. Inzwischen redet doch schon alle Welt von den Einbrüchen auf dem Immobilienmarkt. Nelson kann die Fernsehsendungen, in denen irgendwelche geschleckten Yuppies Häuser an- oder verkaufen, zwar nicht ausstehen, aber das hat selbst er mitbekommen. Demnächst werden genau diese geschleckten Yuppies ihre Immobilien weit unter Wert verkaufen müssen. Geschieht ihnen ganz recht. Sein eigenes Haus ist natürlich bis unters Dach mit Hypotheken belastet, doch das macht ihm keine schlaflosen Nächte. Nelson ist in einer Sozialwohnung aufgewachsen – für ihn sind Hypotheken ein Statussymbol.
Trotzdem sollte Spens besser zügig mit den Bauarbeiten anfangen, sonst ist bald keiner mehr da, der ihm seine Luxusapartments abkauft. Luxus! Nelson schnaubt verächtlich, während er einen vollbesetzten deutschen Reisebus überholt. Wo früher mal
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