Knochenhaus (German Edition)
ist sie ohnmächtig geworden?»
Statt einer Antwort hält Cathbad ihm etwas hin. Nelson zuckt zurück.
«Was zum Teufel ist das denn?»
Max antwortet. «Das Modell eines Neugeborenen. Als ich es sah, dachte ich erst …»
«Ich auch», sagt Cathbad kleinlaut. «Darum habe ich dich auch gleich angerufen.»
Nelson betrachtet das Modell, die anatomisch völlig korrekte Kunststoffnachbildung eines ausgewachsenen Fötus. Das Gesicht ist ausdruckslos, die Augen blicken leer. Als er es umdreht, entdeckt er auf Höhe des Steißbeins einen Stempel. «Das ist aus dem Museum in der Burg», sagt er. «Ich war neulich auf dieser blödsinnigen Party dort, da ist es mir aufgefallen. Die haben Modelle von Föten in allen Entwicklungsstadien.»
Max setzt dazu an, etwas zu sagen, doch da steht plötzlich die Ärztin vor ihnen, eine erschreckend junge Chinesin.
«Gehören Sie zu Miss Galloway?»
«Ja», antwortet Nelson, ohne zu zögern.
«Wie geht es ihr?», fragt Cathbad.
«Sie ist immer noch bewusstlos, aber die Lebensfunktionen sind alle stabil. Ich denke, sie wird bald wieder zu sich kommen. Sie meinten, sie ist schwanger?»
«Etwa in der sechzehnten Woche», sagt Cathbad. «Das habe ich auch schon den Sanitätern gesagt.»
Die Ärztin nickt besänftigend. «Auf eine Fehlgeburt deutet nichts hin, aber wir werden später vorsichtshalber einen Ultraschall machen. Gehen Sie hinein und reden Sie mit ihr, dann kommt sie vielleicht schneller wieder zu sich.»
Eigentlich richtet sich die Aufforderung nur an Cathbad, doch alle drei Männer folgen der Ärztin in das Krankenzimmer, wo Ruth hinter einem Vorhang liegt. Am Fußende des Bettes ist bereits ein Schild mit ihrem Namen befestigt. Nelson findet eine solche Effizienz etwas bedrohlich. Liegen die Leute in der Notaufnahme sonst nicht ewig auf mobilen Betten im Flur herum?
Ruth liegt auf der Seite, einen Arm über dem Kopf, und murmelt leise vor sich hin. Cathbad setzt sich auf den Bettrand und nimmt ihre Hand. Nelson bleibt befangen hinter ihm stehen, Max hält sich dicht beim Vorhang und kann sich offenbar nicht recht entscheiden, ob er gehen oder bleiben soll.
«Was sagt sie denn da?», fragt Nelson.
«Hört sich an wie ‹Tony›», meint Cathbad.
«Oder Toby?», lässt sich Max aus dem Hintergrund vernehmen.
Nelson macht unvermittelt einen Schritt nach vorn. «Wach auf, Ruth!» Ruths Lider zucken leicht.
«Schreien Sie sie nicht an», sagt Max. «Das hilft doch auch nicht weiter.»
Nelson fährt wütend zu ihm herum. «Was geht Sie das alles überhaupt an?»
Doch Cathbad hält den Blick auf Ruth gerichtet.
«Sie ist zu uns zurückgekehrt», sagt er.
«Was ist passiert?» Ruths Stimme klingt schwach und doch anklagend, als wären die drei Männer irgendwie an allem schuld.
«Du warst ohnmächtig», sagt Cathbad mit beruhigender Stimme. «Aber es wird alles wieder gut.»
Ruth blickt mit wachsender Verzweiflung von einem zum anderen. «Das Baby?», murmelt sie.
«Alles bestens», antwortet Cathbad entschieden. «Sie werden nachher noch einen Ultraschall machen, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass etwas nicht in Ordnung wäre.»
«Das Baby im Graben …»
«Das war nur ein Modell», sagt Nelson. «Irgendein Clown hat das da hingelegt. Sollte wohl ein Scherz sein.»
Er zeigt ihr das Plastikbaby. Ruth wendet das Gesicht ab, Tränen laufen ihr über die Wangen.
«Mit deinem Baby ist alles okay», sagt Nelson in sanfterem Ton. Ruth sieht zu ihm auf, und plötzlich scheint es, als könnten sie ihre Blicke nicht mehr voneinander lösen. Aus Sekunden werden Minuten. Max spielt an dem Spender mit Desinfektionsmittel herum, der an der Wand hängt. Doch Cathbad kennt wie gewohnt keine Verlegenheit.
«Ich finde», sagt er munter, «wir sollten jetzt alle der Göttin Brigid für Ruths gute Genesung danken.»
Glücklicherweise schiebt in diesem Moment eine Krankenschwester die Vorhänge beiseite und verkündet, man werde Ruth jetzt auf eine andere Station verlegen. Sie müsse über Nacht zur Beobachtung hierbleiben. «Und morgen früh», setzt sie fröhlich hinzu, «kann Sie ja einer Ihrer Freunde nach Hause bringen.» Dann mustert sie die drei Männer – Cathbads lilafarbenen Umhang, Max in seiner fleckigen Jeans und Nelson mit seiner Polizeijacke –, und ihr Lächeln wird ein wenig blasser.
Am nächsten Morgen kann Ruth es kaum erwarten, das Krankenhaus wieder zu verlassen. Anfangs war es wunderbar, zwischen kühlen, gestärkten Laken zu liegen und
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