Knochenhaus (German Edition)
durcheinanderbringen.»
«Aber findest du nicht, dass ich ein Recht darauf habe, davon zu erfahren? Natürlich nur falls es von mir ist.»
«Selbstverständlich ist es von dir», faucht Ruth. «Von wem sollte es denn sonst sein?»
«Ich dachte, vielleicht dein Exfreund … dieser Peter …»
«Mit dem habe ich zuletzt vor etwa zehn Jahren geschlafen.»
«Dann ist es wohl nicht von ihm», bemerkt Nelson mit dem Anflug eines Lächelns.
«Nein, es ist auf jeden Fall deins.» Sie schweigen wieder, bis die Stille von den Taxis durchbrochen wird, die hinter ihnen ein ausdauerndes Hupkonzert anstimmen. Nelson lässt fluchend den Motor an. Schweigend durchqueren sie die Seitenstraßen von Norwich. Alles ist ruhig an diesem frühen Sonntagmorgen, die Leute kommen mit dicken Sonntagszeitungen unter dem Arm vom Kiosk zurück, die Cafébesitzer stellen Tische vor die Tür. Als sie durchs Zentrum fahren, hören sie Kirchenglocken.
«Was hast du denn jetzt vor?», fragt Nelson und tritt an einem Zebrastreifen scharf auf die Bremse.
«Ich werde das Baby bekommen», sagt Ruth entschlossen, «und es alleine großziehen.»
«Ich will dir helfen.»
«Helfen? Was meinst du denn damit?»
«Du weißt schon … finanziell. Und auch sonst. Ich will mich beteiligen.»
«Und wie stellst du dir das vor? Willst du Michelle davon erzählen?»
Nelson gibt keine Antwort, doch Ruth bemerkt, wie er die Augen zusammenkneift. Schließlich sagt er: «Hör zu, Ruth. Das ist alles nicht so leicht. Ich bin verheiratet, ich will meine Familie nicht zerstören. Die Mädchen …»
«Glaub bitte nicht, dass ich dich heiraten will. Das ist das Letzte, woran ich denke.»
Sie hat das Gefühl, dass Nelson sich wieder ein wenig entspannt, und als er weiterspricht, klingt seine Stimme sanfter. «Was wünschst du dir denn dann von mir?»
«Ich weiß es nicht.» Das entspricht der Wahrheit. Natürlich wünscht sich ein Teil von ihr einen Partner, der ganz für sie da ist, der bei der Geburt dabei ist und das Kind mit ihr gemeinsam großzieht. Aber das ist nun mal nicht drin. «Ich glaube, ich brauche einfach jemanden zum Reden», sagt sie.
«Na, reden kannst du ja mit mir. Hast du schon den ersten Ultraschall gehabt?»
«Ja. Anscheinend hat er lange Beine.»
«Er?»
«Ich glaube, es ist ein Junge. Ich nenne ihn Toby.»
«Toby!» Der Wagen gerät ins Schlingern. «Toby! Du kannst ihn doch nicht Toby nennen!»
«Und warum nicht?»
Nelson zögert. Ruth rechnet fast damit, dass er etwas wie «Weil so nur Schwuchteln heißen» antwortet, doch das ginge wohl selbst für Nelson zu weit.
«Wahrscheinlich hättest du gern, dass ich ihn Harry nenne», meint sie.
«Harry? Nein. Seit diesem bescheuerten Harry Potter ist das der reinste Albtraum. Aber warum nennst du ihn nicht beispielsweise … Wie heißt denn dein Vater?»
«Ernest.»
«Okay, vielleicht auch nicht.»
«Ich könnte ja Cathbad um Rat fragen.»
«Um Himmels willen! Der nennt ihn dann wahrscheinlich Jupiter Moon Gilgamesch oder so. Gib dem armen Kind doch einen normalen Namen. Tom zum Beispiel.»
«Oder Dick. Oder Harry.»
Wenn sie mit Nelson zusammen ist, denkt Ruth, dauert es nie lange, bis sie sich zanken. Und trotzdem ist sie glücklich, fast schon euphorisch. Über das Baby zu sprechen, sich über Namen Gedanken zu machen, das lässt die ganze Schwangerschaft so real werden, wie sie es seit dem ersten Ultraschall nicht mehr empfunden hat. Oder nein, nicht die Schwangerschaft wird realer, sondern das Baby. Vielleicht auch eher die Tatsache, dass dieses Baby bald zu einem Kind heranwachsen wird, einer kleinen Persönlichkeit, die Marmite-Brote isst, mit Fingerfarben malt, Fußball spielt und durch Pfützen planscht. Sie merkt, dass sie über das ganze Gesicht strahlt.
Inzwischen sind sie auf der Umgehungsstraße angekommen. Nelson fährt wie immer viel zu schnell. Manchmal hat Ruth den Verdacht, dass er eigentlich nur Polizist geworden ist, um keine Strafpunkte wegen Verstößen gegen das Tempolimit zu bekommen.
Doch anscheinend hat auch er sich seine Gedanken gemacht. «Schon komisch, was?», sagt er, während er einen Laster überholt. «Wir kennen uns eigentlich kaum, aber wir kriegen ein Baby zusammen.»
«Wir kriegen dieses Baby nicht zusammen», sagt Ruth.
«Doch!»
«Aber wir beide sind doch nicht im eigentlichen Sinn ‹zusammen›. Oder hattest du vor, mit zum Elternabend zu kommen?»
«Das ist ja nun wirklich noch ein bisschen hin, Ruth.»
«Ich meine ja nur.
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