Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
muß eben für alles bezahlen, dachte er fatalistisch. Ich habe vierzehn Tage wie im Schlaraffenland gelebt – nun gut, prügele zwei Tage davon ab …
Plötzlich hörten die Schläge auf. Der unbekannte Unhold zog den Sack weg, blickte Eugen an, schien zu erstarren und sagte dann, sicherlich mit verstellter, tiefer Stimme:
»Pardon, monsieur … Sie sind der Falsche! Excusez moi …«
Dann entfernten sich schnelle Schritte im Wald.
Eugen Kochlowsky blieb zur Sicherheit noch eine Minute lang liegen. Man konnte nicht wissen, ob der französische Kavalier nicht plötzlich zurückkam und aus Enttäuschung weiterdrosch. Aber niemand ließ sich blicken. Also richtete sich Eugen auf, setzte sich wieder auf die Bank, blickte sich prüfend um, zog dann seine Hose aus und hielt seinen malträtierten Unterleib dem kühlenden Wind entgegen.
Erst jetzt überfielen ihn Erschütterung und die weise Erkenntnis, daß man in Leo Kochlowskys Kleidern nie allein Spazierengehen sollte.
Nach zwei Stunden kam er ins Haus zurück. Leo war aus Pleß heimgekehrt, wütend auf den Schneider Moshe Abramski, der zwei Hosen verschnitten hatte. »Was soll denn das?« hatte Kochlowsky gebrüllt, als er sich vor dem Spiegel drehte. »Da hinten! Die Hose! Viel zu weit! Darin habe ich ja einen Elefantenarsch!« Es war Moshe Abramski unmöglich, dem gnädigen Herrn Verwalter zu erklären, daß »Naht tut platzen bei engere Hosen, schwör i bei Mutterleben seliges …«
Auch Friseur Marek Popolinski fiel in Ungnade. »Was ist das?« schrie Kochlowsky. »Dreiundzwanzig weiße Haare in sechs Tagen? Und das sagen Sie so daher, Popo, als wenn's sich um Sauhaare handelte? Tun Sie was dagegen! Wozu sind Sie Haarspezialist, Popo? Aber so ist das immer: Große Fresse vorher, kleiner Arsch hinterher, wenn's drauf ankommt! Strengen Sie Ihren Kopf an, Popo!«
Voller Mißmut saß Leo nun am häuslichen Tisch, als Eugen ins Zimmer wankte und einen Kartoffelsack auf die blankpolierte Platte schleuderte. Ebensogut hätte man einem Stier ein rotes Tuch vorhalten können.
»Du Flegel!« schrie Kochlowsky sofort. »Was soll das?«
»Ein Gruß von einem Chevalier …« Eugen zog einen Stuhl heran, streifte seine Hose herunter und zeigte seinem Bruder ungeniert die Striemen auf seinem Hintern. »Eindrucksvoll, nicht wahr? Aber das ist noch nicht alles. Ich bin halb entmannt … Jedenfalls kann ich damit rechnen. Warten wir es ab!«
»Du lieber Himmel!« rief Landauer entsetzt. »Eugen, wie ist denn das passiert?«
»Hier fliegen einem Kartoffelsäcke über den Kopf, und Knüppel trommeln auf einem herum. Und dann sagt jemand höflich auf französisch, daß er sich geirrt habe, er hätte den Falschen erwischt!« Und plötzlich schrie auch Eugen – es war überhaupt das erste Mal, daß jemand ihn schreien hörte; man hatte bisher angenommen, seine Stimme käme über einen gewissen euphorischen Klang nicht hinaus. »Eine von Leo Kochlowsky total verseuchte Gegend ist das, dieses Pleß!«
»Wer war das?« fragte Leo gepreßt.
»Kannst du durch einen Kartoffelsack sehen?« Eugen zog seine Hose wieder hoch. »Geh die Liste derer durch, die dich verprügeln wollen … Einer davon wird es gewesen sein.«
»Darunter ist kein Franzose.«
»Sei dessen nicht so sicher! Denk nach. Mit welcher Marquise hast du schon geschlafen?« Eugen zeigte auf den Sack. »Kennst du diesen Kartoffelsack?«
»Er stammt von meinem Gut. Aber da kann praktisch jeder dran. Sie lagern im Schuppen. Eugen, beruhige dich …«
»Ich bin nach Pleß gekommen, um einmalige Gedichte zu schaffen. Und was passiert? Man zertrümmert fast meine Männlichkeit! Lies in der Literaturgeschichte nach: So hat noch kein Dichter gelitten!« Eugen zerraufte sich mit beiden Händen die Haare. »Und da soll ich mich nicht aufregen!«
»Schildere den Überfall in aller Ruhe, Eugen«, sagte Kochlowsky beherrscht.
»In Ruhe?«
»Was hast du bemerkt?«
»Kartoffelgestank, Prügel und zum Schluß ein gestottertes Pardon … Ist das eine Mischung!«
»Der Kerl sprach wirklich französisch?«
»Wenn ich es sage …« Eugen schleuderte den Sack in die Zimmerecke. »Leo, steht es vielleicht zu erwarten, daß wir eines Tages an deiner Statt umgebracht werden?«
»Das wäre peinlich«, sagte Landauer bedrückt. »Was nützen mir dann hundert Goldmark?«
»Wir werden diesen Hundsfott finden!« Leo Kochlowsky schüttelte den Kopf. »Unbegreiflich …«
»Was?«
»Diese Verwechslung. Du hinkst doch,
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