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Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt

Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt

Titel: Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von einem Leo Kochlowsky zerbrochen wird!

IX
    Wer Louis Landauer kannte, hatte noch nie behauptet, daß er schüchtern sei.
    Es gab Situationen, wo man den Kopf brav und etwas dienernd gesenkt halten mußte, zum Beispiel, wenn man als armer, noch nicht als Genie anerkannter Maler einen Auftrag entgegennahm, etwa bei dem dicken Fleischermeister Hubertus Sczymsky in Nikolai, der für sein Schaufenster bei Landauer einmal ein Bild bestellte: zwei miteinander tanzende Schweine und darüber in Zierschrift die Worte: ›Gutes Fleisch von fröhlichen Schweinen‹.
    Natürlich hatte Landauer den Auftrag angenommen – er bedeutete eine Woche Leben – und der Erfolg war sogar so groß, daß auch andere Kaufleute bei ihm individuelle Gemälde bestellten: der Bäcker zwei liebevoll ineinander verschlungene Brote (das Bild mußte man später aufgrund einer Intervention des christlichen Frauenvereins herausnehmen!), der Schneider einen Stoffballen, aus dem ein fröhliches Lämmleingesicht strahlte, und der Goldschmied wollte einen riesigen Trauring, in den eine Hochzeitsszene eingeschlossen war. Ein Meisterwerk wurde das Reklamebild des Sattlers Siegfried Habliczek: Ein Vater versohlt seinem Sprößling mit einem Rohrstock den Hintern, aber der Junge lacht, denn er trägt eine dicke Lederhose. Handgenäht von S. Habliczek.
    Auch dieses Bild erregte Anstoß. Die Lehrerschaft von Nikolai fühlte sich verunglimpft, denn es war auf dem Bild kein Vater-Sohn-Verhältnis erkennbar. Genausogut konnte es sich um einen Lehrer und seinen Schüler handeln. In diesem Fall bedeutete es eine unerhörte Provokation, einen Schüler bei der notwendigen Züchtigung lachen zu sehen. Ein bestrafter Schüler hat Schmerz zu empfinden. Wozu sonst die Strafe?
    Aber die Lehrerschaft kam mit ihrem Protest nicht durch, und Habliczek verkaufte einen Berg von Lederhosen.
    Man kann also nicht sagen, daß Louis Landauer als Maler und als Mensch schüchtern oder gar scheu gewesen wäre. In diesem Augenblick aber, in dem Sophie Rinne vom Kücheneingang über den geharkten Weg zur Rosenhecke kam – was heißt, kam? Sie wandelte, sie schwebte, sie war wie ein Lufthauch! In diesem Augenblick also, wo sie sich hinter Landauer und neben Ferdinand Jüht stellte, fühlte sich Landauer, als hätte man ihn mit Leim übergossen. Er hockte wie angeklebt auf seinem Klappstuhl, starrte Sophie wie eine Himmelserscheinung an und dachte immer nur: Nein! Nie Leo Kochlowsky! Das wäre ja ein Menschenopfer …
    »Is det 'ne Rose?« fragte Jüht begeistert und deutete auf die Staffelei. »Det 'n Mensch so wat malen kann! Daran riechen möcht' man. Det is wahre Kunst … Un' so wat hungert nun! Is' allet vakehrt uff die Welt, Mamsell …«
    »Sie haben wirklich Hunger?« erkundigte sich Sophie. Der Klang ihrer Stimme vertiefte Landauers traumhafte Versunkenheit. So etwas Sanftes war außerirdisch!
    Landauer schüttelte den Kopf. Er war noch immer nicht fähig, ein Wort zu bilden.
    »Aber Ferdinand sagt es doch …«
    »Ich … ich bin nicht reich, aber ich habe mein tägliches Brot«, brachte Landauer mühsam hervor. »Man sagt nur immer: die Hungerkünstler …«
    »Warum eigentlich?«
    »Weil wir anders sind als andere Menschen.«
    »Sind Sie das wirklich?«
    »Was ist ein Künstler? Schon damit fängt es an. Für den normalen Menschen ist ein Künstler ein Faulpelz. Sitzt da herum und schreibt Verse oder dicke Bücher voller Phantastereien, kann hundert oder tausend Zeilen über ein Herbstblatt zu Papier bringen, das andere wegfegen. Oder er schlägt mit Hammer und Meißel auf einen Stein ein, bis eine Figur daraus wird, oder er malt einen See bei Sonnenuntergang und hofft, daß jemand sein Werk als Schmuck an die Wand hängt. Oder er sitzt vor einem Papier mit fünf Linien und schreibt Noten darauf, erfindet Melodien, und andere tanzen danach oder singen sie. Ist das ein Beruf? Kann man das ernst nehmen? Ein Leben mit dem Tandaradei? Da muß man ja hungern … Wäre der Kerl Tischler oder Schuster geworden, das wäre etwas Ehrliches.« Landauer holte tief Luft. »So denken die meisten. Schnell, nehmt die Wäsche von der Leine! Die Komödianten kommen!«
    »Und trotzdem sind Sie Maler …«
    »Ich bin besessen davon. Wie mein Freund von der Dichtkunst.«
    »Oh, Sie haben einen Freund, der Dichter ist?« Sophies große blaue Augen strahlten. »Ich liebe Gedichte.«
    »Auch Bilder?«
    »Auch Bilder.« Sie beugte sich nach vorn über seine Schulter, und er spürte ihren Atem und

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