Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
Hilliebillie?«
»Was ist denn das?« platzte Leo verwirrt heraus.
»Das tanzt man drüben in Amerika. Ein Siedlertanz nach einer schnellen, flotten Melodie. Da muß man die Röcke raffen und mit den Beinen stampfen, und hinterher umarmt und küßt man sich …«
»Und das ist ein Tanz? Mit Küssen?«
»Ja. Hilliebillie. Aus Amerika. Und nach dem Kuß stößt man einen Juchzer aus. Etwa so.« Sophie jauchzte so plötzlich auf, daß sowohl Kochlowsky als auch der gramgebeugte Reichert zusammenzuckten.
»Typisch Amerika!« sagte Kochlowsky gepreßt. »Und dieser von Seynck tanzt mit Ihnen auch Hilliebillie?«
»Gewiß. Ich habe ihn gefragt. Er kennt sogar eine neue Tanzfigur: Der Partner hebt die Partnerin an der Taille hoch und schwenkt sie herum …«
Sie sah ganz unschuldig aus, die kleine Sophie Rinne, als sie diese ganze Salve von Phantastereien auf Leo Kochlowsky abschoß. Sie merkte, wie es voll in ihm einschlug und ihn völlig aus dem Gleichgewicht brachte.
»Und so etwas nennt man Kultur!« sagte Kochlowsky schließlich abweisend.
»Es ist lustig! Darf Kultur nicht lustig sein?«
»Ich bleibe hier, bis Wanda kommt!« erklärte Reichert und setzte sich auf das Sofa im Zimmer. »Ich weiche keinen Zentimeter mehr! Ich will wissen, wo sie sich herumtreibt. Um diese Zeit …«
»Beim Hilliebillie!« Kochlowsky grinste hämisch. »Läßt die Röcke fliegen und juchzt dabei. Juchhei! Muß ein kräftiger Kerl sein, der sie hochstemmt. Du schaffst das nicht mehr, Jakob. Die neue Zeit überrollt uns, mein Lieber! Während wir das schlesische Mastschwein veredeln, kommt von draußen der amerikanische Siedlertanz herein mit Anfassen und Küßchen! Ha, ist das zum Kotzen!«
»Zum Lachen ist es!« sagte Sophie mit geradezu strafbarer, verführerischer Naivität. »Ich könnte Tag und Nacht Hilliebillie tanzen …«
Es war ein Thema, über das sich Kochlowsky nicht weiter unterhalten konnte. Da aus Sophie weder der Aufenthaltsort von Wanda noch weitere Informationen über diesen Eberhard von Seynck herauszulocken waren, einigte man sich, auf dem Sofa zu warten, bis irgend etwas geschah.
Und so saßen sie dann nebeneinander, finster dreinblickend, stumm und verbissen, Denkmäler beleidigten männlichen Stolzes: Jakob Reichert, ein großer Dulder und zermartert von Eifersucht, Leo Kochlowsky voll finsterer Entschlossenheit, diesem Eberhard von Seynck zu beweisen, daß Tanzen nicht die ganze Seligkeit auf Erden war.
Hilliebillie, dachte er. So ein Scheißdreck! Haben wir Preußen die amerikanische Hopserei nötig? Schon der Name ist absoluter Schwachsinn!
Sophie hatte sich in eine andere Ecke gesetzt, beschäftigte sich mit einer Stickerei und beobachtete unter gesenkten Lidern den unruhig an seinem Zorn kauenden Kochlowsky.
Einmal fragte er: »Was arbeiten Sie denn da?«
»Ich sticke. Das sehen Sie doch.«
»Und was soll es werden, wenn es fertig ist?«
»Ein Taschentuch mit einem Wappen …«
»… derer von Seynck …«, schnaubte Leo.
»Zu Weihnachten!« setzte Sophie obendrauf.
Weihnachten gibt es keinen von Seynck mehr, dachte Kochlowsky verbissen. Bis Weihnachten habe ich alles umgerannt, was mich von Sophie trennt. Ist das nicht hirnverbrannt? Da sitze ich nun endlich bei ihr, Reichert ist vor Kummer um Wanda ganz aufgeweicht, ich könnte Sophie alles sagen, was ich denke, was ich fühle, wie ich mir unsere Zukunft vorstelle – und was tun wir? Wir schweigen uns an! Wenn man sich bloß selbst in den Hintern treten könnte …
Siedendheiß fiel ihm plötzlich ein, daß er vorhin – vor einer halben Stunde – an der Tür gebrüllt hatte: Ich liebe Sie! – Ja, das hatte er, und wie hatte sie darauf reagiert?
Gar nicht. Mit keinem Ton, mit keiner Bewegung, so, als sei es gar nicht gesagt worden. Sie hatte es überhört. Kann man ein »Ich liebe Sie!« überhören? Mein Gott, war das nicht der Beweis, wie gleichgültig ihr Leo Kochlowsky war?
Er starrte Sophie maßlos erschrocken an und rang die Hände. Aber sie beachtete ihn gar nicht, sie stickte das verdammte Wappen, hatte das Goldköpfchen tief über den Stickrahmen gebeugt, und ihre kleinen Finger führten Nadel und Garn gewandt und zierlich von Stich zu Stich.
Ich werde nicht mehr leben können ohne sie, dachte Kochlowsky mit heißem Herzen. Es ist völlig ausgeschlossen, daß ich sie jemals verlieren kann. Noch habe ich sie nicht, aber auch ein anderer soll mir nicht dazwischenkommen. Sie ist mein Engel … Verdammt, ich lasse mir doch
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