Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
schluchzend. »Er ist doch ganz anders …«
»Wie er ist, haben wir jahrelang aus nächster Nähe erlebt.«
»Niemand hat hinter seine stachelige Haut geblickt …«
»Nur du kannst das, du Kind mit deinen sechzehn Jahren, nicht wahr?« lächelte die Fürstin Pleß mütterlich-gütig. »O Nichtchen, wie dumm bist du doch! Dieser Mann mit seinem üblen Ruf hat dich einfach fasziniert. Das Teuflische hat dich angezogen, es war Neugier, Abenteuerlust, ein bißchen Spiel mit dem Feuer …«
»Nein! Ich liebe ihn wirklich.«
»Das sagt man so daher, wenn man jung ist. Wenn man zum ersten Mal einem Mann begegnet, bei dem einem das Herz klopft. Ach Kindchen, das ist doch nicht Liebe! Du kannst noch sechzig Jahre leben! Und fünfzig davon mußt du vielleicht an der Seite dieses Leo Kochlowsky verbringen, ein halbes Jahrhundert mit solch einem Mann! Das mußt du dir einmal vorstellen!« Die Fürstin beugte sich vor und nahm Sophies kleine, kalte Hände zwischen die ihren. »Du bist zu schade, um ein Menschenalter lang nur zu leiden. Außerdem geht es auch gar nicht.«
»Warum geht es nicht, Durchlaucht?«
»Es wäre jetzt nicht gut, dir alles zu erklären. Einmal wird deine Mutter es dir erzählen … Vielleicht wird sie einmal einen Brief hinterlassen, den du nach ihrem Tod lesen mußt. Die Fürstin von Schaumburg-Lippe hat mir einiges anvertraut, und ich fühle mit ihr die Verpflichtung, dein Leben, mein Kindchen, in eine glückliche Bahn zu lenken. Du bist ein Glückskind, Sophie.«
»Was ist mit meiner Mutter?« fragte Sophie mit großen Augen.
»Sie wird es dir sicherlich einmal selbst sagen.«
»Ich werde ihr schreiben.«
»Tu das, Kindchen.«
»Ich werde ihr schreiben, daß ich Leo liebe!«
»Und ich werde ihr schreiben, daß das nur ein vorübergehender Wahn ist. Mein Gott, wie soll ich es dir sagen?« Die Fürstin schlug die Hände zusammen und blickte an die goldverzierte Stuckdecke. »Du bis zu Höherem geboren, als eine Frau Kochlowsky zu werden. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht erklären … Vergiß diesen Mann, mein Nichtchen. Im Moment tut es weh, ich weiß, aber später wirst du sagen: Es war richtig so …«
Mit einem großen Rätsel im Herzen verließ Sophie das Boudoir der Fürstin. Sie verstand wenig von den dunklen Andeutungen, sie wußte jetzt nur eins: Mama hat ein Geheimnis, das sie mit ins Grab nimmt. Vielleicht hinterläßt sie einen Brief, der alles aufklärt. Aber was kann das nur sein? Was? Und warum kümmert sich die Fürstin zu Schaumburg-Lippe darum?
An diesem Morgen rief die Fürstin Pleß im Schloß von Bückeburg an. Es war ein mühsames Unterfangen, denn es dauerte zwei Stunden, bis die Verbindung hergestellt war. Zwar gab es durch die Bemühungen des deutschen Generalpostmeisters von Stephan seit 1877 den Fernsprecher, aber bis man die Strecke Pleß – Bückeburg für ein Telefonat zusammengekoppelt hatte, mußte man sehr viel Geduld aufbringen. Dann aber, ziemlich quäkend und unklar, ertönte endlich die Stimme der Fürstin zu Schaumburg-Lippe im Hörtrichter des Telefonapparates der Fürstin von Pleß.
»Ich mußte dich anrufen, meine Liebe«, sagte die Pleß erregt. »Es ist von größter Wichtigkeit. Unser Nichtchen hat sich verliebt. Ja, verliebt! Und ausgerechnet in das größte Scheusal von Pleß. Unser Verwalter vom Gut III. Meine Liebe, bitte keine Aufregung … Dieser Leo Kochlowsky ist bereits entfernt worden. Nach Ratibor. Eine endgültige Trennung. – Nein, Sophie ist nichts geschehen. Sie ist rein und unberührt geblieben! Das kann ich beschwören, meine Liebe! Oh, wäre das eine Katastrophe! – Ja, ich verstehe. Da waren wir uns einig. Nein, von dem Prinzen von Nürthing-Babenhausen habe ich kein Wort erwähnt. Ich habe nur gesagt, daß sie zu Höherem geboren wurde und wir andere Pläne mit ihr haben. Darum rufe ich dich an. Man sollte mit Sophies Mutter sprechen und sie warnen vor einem Brief, den die Kleine schreiben will. – Nein, meine Liebe, ich kann den Brief nicht abfangen. Wir haben einige hundert Menschen Personal, wie soll ich die kontrollieren und wissen, wer einen Brief nach Pleß zur Post bringt? – Den Postmeister von Pleß informieren? Er soll den Brief zurückhalten? Ich werde es versuchen, meine Liebe … Und keine Sorge! Wir werden dafür sorgen, daß Nichtchen diesen Kochlowsky schnell vergißt.«
Irgendwie brach dann die Leitung zwischen Bückeburg und Pleß zusammen. Es knackte, rauschte und knatterte. Die Fürstin Pleß
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