Kochlowsky 1: Vor dieser Hochzeit wird gewarnt
Schneider Moshe Abramski seine bestellten Maßanzüge, die ihm jetzt völlig idiotisch erschienen, sogar den Friseur Marek Popolinski besuchte er und sagte: »Popo, wir müssen uns trennen! So viele graue Haare, wie ich jetzt bekomme, können sie nicht mehr ausrupfen!« Und ganz zum Schluß stieg er die Treppe hinauf in den Übungsraum zu Adolf Flamme, der sich als Tanzlehrer Adolphe Furniere nannte, und bestellte seinen Unterricht in Hilliebillie ab.
Adolf Flamme atmete auf. Auch die ›Vereinigung preußischer Tanzlehrer‹ hatte ihm kein Übungsmaterial zukommen lassen können, man wußte auch nicht, wo Unterlagen über diesen Hilliebillie zu finden seien. In Amerika natürlich, aber in Preußen …
»Jetzt ist alles erledigt!« sagte Leo Kochlowsky, als er nach seinem Besuch bei Adolf Flamme wieder in die Kutsche stieg. »Zum Bahnhof! Ich will Pleß so schnell wie möglich verlassen.«
»Und kein Wort für Sophie?« fragte Reichert, bevor er die Peitsche schnalzen ließ.
»Wir brauchen keine Worte mehr! Wir wissen, daß wir uns lieben, und wir wissen, daß wir uns finden. Irgendwo. Wozu noch Worte? Laß mich erst in Ratibor sein! Sie alle, alle hier werden noch ihr blaues Wunder erleben.«
Das mag sein, dachte Jakob Reichert und ließ die Pferde anziehen. So wahr mir Gott helfe, jetzt tut mir Leo wirklich leid …
XIV
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt der Volksmund. Aber ebenso richtig ist die Erkenntnis, daß Zeit und Entfernung die Sehnsucht stärken.
Nach Kochlowskys Weggang übernahm ein Inspektor das Gut III, ein sehr fleißiger und lieber Mann, der sich vorgenommen hatte, alles besser zu machen als Kochlowsky und der schon nach wenigen Tagen einsah, daß er gegen den großen Schatten des ›Feldherrn‹ nicht ankam. Was er auch anordnete, immer hieß es: »Ja, aber der Herr Verwalter hätte das so oder so gemacht …« Und als er endlich einmal losschrie, um seine Meinung durchzusetzen, sagte man ihm ganz freimütig: »Auch brüllen konnte der Herr Verwalter besser!«
Es war nicht zu leugnen: Auf Pleß fehlte etwas, seit Leo nicht mehr über die Felder ritt und die polnischen Arbeiter antrieb. Man vermißte seinen Dogcart in den Straßen von Pleß und vor allem seinen Streit mit Wanda Lubkenski.
»Es ist so unheimlich still«, sagte Wanda zu Jakob Reichert. »Jetzt sieht man erst, daß seine Grobheit zu unserem Dasein gehörte wie die Jahreszeiten. Ich denke immer, er müßte gleich durch die Tür kommen und schreien: ›Wo ist die Küchenspritze?‹ – Wie man sich doch an ein solches Scheusal gewöhnen kann …«
Mit der Fürstin hatte Sophie eine lange Aussprache.
Am Tage von Leos Abreise hatte Frau von Suttkamm mit größter Freude Sophie Stubenarrest verordnet. Weinend saß das junge Mädchen in ihrer Kammer, ohne die Möglichkeit, Leo noch einmal zu sehen.
Elena von Suttkamm stand unterdessen hinter der Gardine des fürstlichen Ankleidezimmers und beobachtete den Auszug Kochlowskys. Ihr Gemüt schwankte zwischen Triumph und Trauer. Ihr war bewußt, daß Leo nie mehr nach Pleß zurückkehren würde und daß damit auch ein wichtiger Abschnitt ihres eigenen Lebens beendet war. Auch wenn sie Kochlowsky längst verloren hatte – sie hatte ihn täglich sehen können, und bei jeder Begegnung war die Erinnerung an seine Zärtlichkeiten wieder erwacht und fast greifbar gegenwärtig geworden. Nun kam sich Elena wie zum zweitenmal verwitwet vor, ein Zustand, der sie niederdrückte und elegisch werden ließ. Der Gedanke, Schloß Pleß auch zu verlassen und eine Stelle im Badischen anzunehmen, setzte sich bei ihr fest.
»Nun laß uns vernünftig miteinander reden, mein Nichtchen«, sagte die Fürstin Pleß, als Sophie einen Tag später weinend vor ihr auf der Sesselkante saß. »Es ist eine Tragik, glaube es mir, daß du dich ausgerechnet in diesen Leo Kochlowsky verlieben mußtest. Zugegeben, er ist ein kluger, fleißiger Mann, er ist ehrlich und korrekt, er sieht gut aus, er hat Manieren – wenn er will! Er ist der beste Verwalter, den wir hatten, aber er ist auch der größte Grobian, den Gottes Sonne bescheint, und der wildeste Schürzenjäger, von dem man je gehört hat! Sosehr man ihn mögen kann, man muß dich vor ihm warnen, vor allem vor einer Hochzeit mit diesem Menschen! Aber da Verliebte wie du grundsätzlich nicht auf Warnungen hören, muß man euch dazu zwingen, vernünftig zu sein. Außerdem habe ich andere Pläne mit dir …«
»Ich liebe ihn, Durchlaucht«, sagte Sophie
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