Köhler, Manfred
seiner Kündigung erkannte er, dass er sie nicht allein wegen seines Versäumnisses Liane Czibull gegenüber für einen Fehler hielt. Plötzlich hatte er panische Angst vor dem Unbekannten, das auf ihn lauerte und nicht mehr abzuwenden war.
Der Bürobote, der nur hatte auftrumpfen und ihn ein bisschen schmoren lassen wollen, damit wenigstens einer dieser Redakteure mal erkannte, wie wichtig auch er in diesem Hause war, der Bürobote sah die Verzweiflung im Gesicht dieses abgekämpften und verschwitzten Mannes und gab ihm hastig den gewünschten Brief heraus. Lothar Sahm war aus tiefster Seele erleichtert – aber augenblicklich auch voll Katzenjammer über die eigene Feigheit. Ein Moment höchster Entschlossenheit war verpasst, die Kündigung widerrufen vor Eintritt ihrer Wirksamkeit, er war am Gummiband seiner Gewohnheiten zurückgeschnappt in sein ungeliebtes Leben, kaum dass er den Versuch gemacht hatte, sich den ersehnten Freiraum zu ertrotzen. Nun würde er wohl endgültig bei der Wallfelder Rundschau versauern.
Oder auch nicht. Er konnte ja irgendwann heute Nachmittag mit Liane Czibull reden und ihr den Brief gleich übergeben oder ihn am nächsten Tag noch einmal ins Körbchen legen. Dieser Gedanke gab ihm Kraft und eine trotzige Zufriedenheit, es war ihm sogar ein Anliegen, über das Fußpflege-Ereignis in Majas Atelier zu schreiben und ihr den Artikel mit einer kleinen Entschuldigung für seine Eile zu mailen; zwei Stunden später war die Begeisterung nicht mehr so groß, als er anhand ihrer mit einer deutlichen Rüge garnierten Antwortmail seine Sätze mit ihren sogenannten Korrekturen zu entstellen hatte. Indes: Er musste diese Arbeit nicht tun, er hätte jederzeit mitten im Wort aufhören und die Kündigung aus der Tasche ziehen können. Es war seine Entscheidung, mit diesem Artikel das Niveau seiner Seite 2 abzuwerten oder ihn einfach wegzulassen, was immer das für Folgen haben würde. Er musste auch nicht unbedingt heute mit Liane reden, er konnte das Gespräch jederzeit noch ansetzen, wenn ihm hier alles zu viel wurde.
Schon gegen 18 Uhr war sein Tagwerk getan, er machte Feierabend. Es zog ihn in die Großmarkthalle, ein für Wallfelder Verhältnisse gigantisches Einkaufszentrum. Nicht mit den üblichen Waren des täglichen Bedarfs füllte er seinen Einkaufswagen, sondern mit allem, was er sich sonst immer verweigert hatte, um sein finanzielles Polster für seine Anfangszeit als freiberuflicher Schriftsteller nicht anzugreifen. Er kaufte querbeet: mehrere Großpackungen der teuersten Pralinen, eine mittelpreisige Gartensitzgruppe zur sofortigen Anlieferung, einen neuen Hochleistungs-Rasenmäher, einen ganzen Stapel verschiedenster Zeitschriften, den lange schon ins Auge gefassten DVD-Player samt einem halben Dutzend an Filmen – wäre die Elektro-Abteilung des Kaufhauses besser bestückt gewesen, er hätte gleich noch einen Großbild-Fernseher dazu genommen und einen Satz Quattro-Lautsprecher.
Im Auto auf dem Weg nach Hause schwamm er auf der Glückswelle des befriedigten Kaufrausches, einen Abend lang genoss er seinen neuen Besitz und schaute, im Wohnzimmer auf einem der neuen Gartenstühle sitzend, drei Filme hintereinander, er blätterte dabei in seinen Zeitschriften und mästete sich mit einer ganzen Packung Pralinen; auch am nächsten Morgen noch flötete es in ihm: Gott sei Dank, ich bin noch dabei, ich kann mir meine Wünsche erfüllen und muss nicht knausern.
Dann folgte ein besonders öder Redaktionstag, eine Flut nichtiger Anrufe prasselte auf ihn ein, massive Beschwerden wegen einer falschen Veranstaltungsmeldung, der Urheber ließ sich nicht mehr nachvollziehen; ein einziges Gerüffel mit den Kollegen, die ihm zunehmend seine Seite-2-bedingte Sonderstellung übel nahmen, vor allem neideten sie ihm die interessanten Termine, zu denen er trotz des immer stärker hereindrängenden Werbtexte-Einerleis noch oft genug unterwegs war, während sie meistens in der Redaktion schmachteten und für die Seiten 3 bis 5 die Berichte freier Mitarbeiter über Jahreshauptversammlungen und Ausflüge der immer gleichen Vereine redigierten.
Nach diesem Tag hatten die neuen Gegenstände im Hause Sahm ihren Glanz verloren. Am Abend zuvor noch mächtig beglückender Ausdruck seiner Kaufkraft, waren sie nun nichts als greifbar gewordene Leere.
Lothar Sahm nahm ein Bad, wusch sich Schweiß und Ärger von Leib und Seele und zog sich frische Sachen an. Warum nicht mal allein in ein Restaurant gehen? Nicht
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