König 02 - Königsmacher
zuckte zusammen, als seine Eingeweide rebellierten. »Du magst Jervals Erbe sein, Dathne, aber deswegen bist du noch lange nicht vollkommen. Du könntest dich irren!«
»Ich könnte, aber ich tue es nicht. Ich war drei Tage von meinem zehnten Geburtstag entfernt, als ich das erste Mal Ashers Gesicht erträumte. Am nächsten Nachmittag erklärte man mir, dass ein Cousin, den ich nie kennengelernt hatte, über Nacht gestorben sei und dass es meine Pflicht sei, seinen Platz als Jervals Erbin einzunehmen. Und dann erklärte man mir, was das bedeutete. Seither habe ich keine Nacht mehr ruhig geschlafen.«
Da war Schmerz in ihr, grimmig geleugneter Schmerz. Matt wollte die Hand ausstrecken, wollte sie berühren, sie trösten, aber er wagte es nicht. Etwas in ihr, etwas, das tief und dunkel und von unversöhnlicher Kälte war, hinderte ihn daran. Er spürte, wie sein Herz brach. »Dathne…«
Sie reckte das Kinn vor, und in ihren Augen glitzerte verächtlicher, gegen sich selbst gerichteter Hohn. Sie verspottete ihren eigenen Schmerz, geradeso wie sie seine Sorge um sie verspottete. »Seit jenem ersten Mal habe ich Asher erträumt - in mehr Nächten, als ich zu zählen wage. Ihn habe ich erträumt und andere Dinge.«
»Welche Dinge?«
»Dinge«, sagte sie und schauderte. »Sie sind jetzt nicht wichtig.« »Da bin ich anderer Meinung. Ich will es wissen.«
Hohläugig und mit einem zutiefst unheilverkündenden Blick sah sie ihn an. »Nein, Matt, das willst du nicht. Glaub mir.«
Er musste sie überzeugen. Sie sollte diese Last nicht allein tragen müssen. »Erzähl es mir. Bitte. Ich habe breite Schultern, Dathne. Ich kann helfen. Selbst die Besten von uns machen Fehler, wenn wir müde sind. Traurig. Bedrängt.« »Nicht ich. Ich irre mich nie, Matt. Nicht in dieser Sache. Nenn meine Träume Visionen, nenn sie Warnungen, nenn sie Echos der Prophezeiung. Es sind alles nur Worte, und der Wind reißt sie davon und macht sie zu einem Nichts. Ich bin Jervals Erbin, und ich
weiß
es. Asher ist der Unschuldige Magier. Die Letzten Tage sind nah. Und ich bin die letzte lebende Nachfahrin Jervals, geboren, um unseren ignoranten Fischer zum Sieg zu führen… oder zu versagen und unsere Welt zu Tod und Verzweiflung zu verdammen.«
Seine Brust war so zugeschnürt, dass er kaum atmen konnte. »Und ich? Was bin ich?«
Sie wandte stirnrunzelnd den Blick ab. »Mein Kompass. Mein Anker. Meine Kerze in der Dunkelheit.«
Gewärmt und verärgert zugleich senkte er die Stimme. »Wenn ich all diese Dinge bin, warum erzählst du mir dann niemals irgendetwas, wenn wir uns treffen? Barl stehe uns allen bei, Dathne, ich hätte mehr tun können, ich hätte…«
»Nein. Du hättest nicht mehr tun können«, sagte sie sanft. »Außerdem kannte ich dich damals noch nicht.«
»Du kennst mich jetzt! Du kennst mich seit Jahren! Du hättest es mir erzählen sollen!«
Ihr Lächeln schnitt ihn wie eine Rasierklinge. »Matt, Matt, warum sollte ich dich auch nur einen Herzschlag, bevor du es wissen musst, mit so grausamem Wissen belasten?«
Er hätte weinen mögen. »Ich sage immer noch, dass du dich irren könntest. Wir sollten richtig darüber reden, wir sollten…«
»Da gibt es nichts zu bereden.« Das Eisen war wieder in ihrer Stimme, in ihren Augen. »Ich bin die Erbin. Du hast einen Eid geschworen, mir zu folgen, wohin ich dich auch führen mag. Also frage ich dich hier und jetzt, Matt, und bei meinem Eid vor dem Zirkel, ich werde dich nie wieder fragen: Stehst du zu mir?«
Hilflos starrte er sie an. Stand er zu ihr? Er hatte es getan, von dem Augenblick an, da sie einander das erste Mal begegnet waren, als er noch neu in den Ställen des Königs war und sie ihre Buchhandlung einrichtete und von Veira die Nachricht kam, dass er erwählt worden sei, Jervals Erbin zur Seite zu stehen und seine Pflicht zu tun, wie immer sie es für richtig hielt.
Stand er zu ihr? Er stand zu ihr, selbst wenn er an ihr verzweifelte, wenn sie rücksichtslos über seine Sorgen und Gefühle hinwegschritt, wenn sie einem Impuls oder einem Instinkt folgte oder aus purer Verbohrtheit handelte, wenn sie Pfade hinuntertänzelte, von denen er nicht einmal einen flüchtigen Blick erhaschte.
Stand er zu ihr?
Er stand zu ihr bis zum bitteren Ende, wie immer dieses Ende aussehen mochte. Er legte die andere Hand sachte auf die Finger, die noch immer seinen Arm umfasst hielten - mit einer Verzweiflung, die sie niemals zugeben würde, und wenn es ihren Tod bedeutet hätte.
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