Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
Heiden zu übergeben.
Ein zweites Schwert fand Lupo nicht in der Ruine. Doch als er sich schon abwenden wollte, entdeckte er zwischen schwarzen Tonscherben einen eisernen Ring, der in den Boden eingelassen worden war. Eilig wischte er Asche und Scherben zur Seite, bis er die ganze Steinplatte freigelegt hatte. Es war nicht schwer zu erraten, was darunter lag: ein Geheimgang, der irgendwo in die Berge führen mochte. Hatten die Staufer von dem Fluchtweg gewusst? War deshalb nur ein Schwert in den Trümmern zu finden? Aber wer waren dann die Leichen?
Zweimal streckte Lupo die Hand aus, um nach dem Ring zu greifen, doch jedes Mal zog er sie wieder zurück, bevor seine Finger das ausgeglühte Metall berührten. Aus den Augenwinkeln sah er den Übersetzer des Kriegsherrn, der in der eingestürzten Tür stand und ihn beobachtete.
Der Alte kam langsam näher. »Wirst du die Platte heben?«, fragte er.
Der Falkner schüttelte den Kopf. »Wenn ich das tue, erwartet mich nur eine neue Jagd. Ich bin müde, und ich
wüsste nicht einmal sicher, ob ich nur noch Geistern hinterherjage. Lasse ich die Platte, wo sie ist, dann erwartet mich ein Leben. Ich werde meinem Herrn eine Nachricht schicken, dass die Ritter, die ich verfolgt habe, in einem Feuer gestorben sind.«
»Der dritte Ritter ist während der Mittagshitze zu Allah gegangen. Wir haben ihn in eines der Gräber gelegt.«
Lupo ging an dem Alten vorbei zu den flachen Gruben, die er ausgehoben hatte, und blickte auf die in sauberes Leinen eingehüllten Leiber. Vielleicht hatten sie nur zwei Schwerter gehabt. Die fehlende Waffe mochte schon vor Wochen verlorengegangen sein. Er war dem Papst nichts mehr schuldig! Und auch Julia und Amizio hatte er gerächt. Sein Versuch, Rainald von Dassel mit Gift zu töten, war zwar fehlgeschlagen, aber wenigstens Anno, einem der Krieger von Crema, hatte er den Tod gebracht. Und doch war Lupos Herz voller Bitterkeit. Wie viele Unschuldige hatte sein Kampf das Leben gekostet?
Lange stand er grübelnd über den offenen Gräbern.
Endlich griff er nach dem Spaten, entschlossen, all seine Toten hinter sich zu lassen.
Im Tunnel unter dem Öllager drohten die beiden Ritter beinahe zu ersticken. Ohne jedes Licht krochen sie durch die Dunkelheit. Wie eine Strohpuppe hielt Anno den Heiligen König im Arm und versuchte, ihn vor den scharfkantigen Felsen zu schützen, in die der Gang hineingetrieben worden war. Während Ludwig die ganze Zeit kein Wort sagte, murmelte Anno unaufhörlich vor sich hin. Er spricht ein Gebet, dachte Ludwig und wunderte sich nicht wenig. Ein Gebet für unsere Rettung. Was sonst…
Der Gang endete schließlich hoch über dem Tal, nahe einem kleinen Bach. Doch auch hier befanden sie sich noch ganz in der Nähe der Sarazenen und konnten sich keine lange Rast gönnen.
Bei Einbruch der Nacht flohen sie weiter. Ohne Pferde und ohne Wasser würde es eine ungeheure Strapaze werden, doch Anno schien sich darum keine Sorgen zu machen. Er trug den Heiligen König, lächelte und redete mit ihm. Es dauerte eine Weile, bis Ludwig begriff, dass sein Gefährte durch das Feuer und ihre Flucht offenbar sehr angegriffen war. Annos Blick war wirr, und immer, wenn Ludwig ihn anschaute, verstummte er abrupt, als sei er bei einem verräterischem Gespräch ertappt worden. Ludwig wünschte, er hätte seine Waffe nicht im Lagerschuppen verloren.
Auch am zweiten Tag ihrer Flucht irrten sie noch durch die Bergwälder Galiläas. Sie versuchten, sich in östlicher Richtung zu halten. Irgendwann mussten sie so zu der Ebene gelangen, die sie zum Meer führen würde. Doch die Natur schien sich gegen sie verschworen zu haben. Immer wieder versperrten ihnen schroffe Felsabstürze den Weg, und obwohl sich ringsherum Bäume und dichtes Gestrüpp erhoben, fanden sie kein Wasser.
Anno schien zu fiebern. Seine Schritte wurden immer unsicherer. Ein unheimlicher Glanz lag in seinen Augen. Allem Anschein nach glaubte er, er hielte die ganze Zeit Clara im Arm. Mit lauter Stimme versprach er ihr, einen guten Mann für sie zu finden, der ihr Söhne schenken und mit dem sie ein starkes Geschlecht gründen würde.
Am Mittag des dritten Tages ihrer Flucht erreichten sie ein einsam gelegenes Gehöft. Ludwig musste Anno stützen. Der stämmige Ritter hatte kaum noch die Kraft, sich
auf den Beinen zu halten. Dennoch bestand er darauf, den in Decken eingehüllten König zu tragen.
Vor dem Haupthaus des Hofes fanden sie einen Ziehbrunnen. In einem Lederschlauch
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