Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
sagen hatte und was nicht.
Rother massierte sich den rechten Oberarm. Wie weit er noch davon entfernt war, ein Ritter zu sein, hatte ihm Heinrich eindrucksvoll gezeigt. Sie hatten einen Übungskampf mit Holzschwertern gemacht, und der ehemalige Klosterbruder hatte ihn verdroschen, als wäre er ein dahergelaufener Bauerntölpel. Und als wäre das nicht genug, hatte das halbe Heerlager dabei zugesehen. Jeder zeigte Interesse an ihm, dem neuen Günstling des Kaisers. Andere junge Ritter stritten sich darum, mit ihm zusammen auf Streife reiten zu dürfen, weil sie hofften, von seinem Ruhm zu profitieren. Zwei Ritter hatten sogar schon versucht, ihn
zur Hochzeit mit einer ihrer Töchter zu überreden. Eines der Mädchen war erst sieben gewesen!
Manchmal wünschte sich Rother, er wäre immer noch Knappe bei Anno. Wie schön wäre es, einfach sein Pferd zu satteln und zurück zum Rhein zu reiten!
»Herr?«, erklang vor dem Zelt eine zögerliche Stimme.
»Komm herein, Arnulf.«
Der Pferdeknecht zog die Zeltplane zurück. Er war ein etwas dicklicher, rothaariger Bursche. Nicht besonders helle, aber für gewöhnlich erledigte er seine Aufgaben zuverlässig.
»Warum störst du?«, fragte Rother ein wenig unwirsch.
»Herr, warum habt Ihr mir nicht gesagt, dass Ihr nicht mit mir zufrieden seid?«
»Wovon redest du?«
Arnulf spielte nervös mit dem losen Ende des Seils, das er wie einen Gürtel um seine speckige Hose gebunden hatte. »Der neue Knecht … Habe ich meinen Dienst denn nicht gut gemacht?«
»Was redest du denn da? Hast du dich betrunken?«
»Die Wachen haben einen Jungen bei den Pferdekoppeln aufgegriffen, den niemand kannte. Er behauptet, Euer neuer Knecht zu sein.«
Arnulf lächelte unsicher. »Mir kam es auch seltsam vor. Ihr hättet mir doch gesagt, wenn Ihr einen neuen Knecht in Dienst genommen hättet. Der Kerl ist gewiss nichts anderes als ein dreister Bettler.«
Rother setzte sich auf. Was war das? Eine neue Intrige? Wie er es hasste! Dieses Hauen und Stechen mit Worten und Halbwahrheiten! »Lass ihn hereinbringen. Ich will den Jungen sehen!«
Das Lächeln verschwand aus Arnulfs Gesicht. »Aber wenn er Euch gefährlich wird, Herr. Vielleicht ist er …«
»Bin ich bekannt dafür, ein Feigling zu sein? Glaub mir, ich kann schon auf mich aufpassen.« Rother wunderte sich, wie leicht ihm der arrogante Ton eines Herrn von der Zunge ging. Wie sehr er sich verändert hatte! Arnulf beeilte sich, aus dem Zelt zu kommen und den Gefangenen hereinzuholen.
»Angelo!« Rother fühlte sich wie vom Blitz getroffen. »Du …« War der Lombarde gekommen, um sich für den Verrat zu rächen? Unwillkürlich sah sich Rother nach seinem Schwert um. Es lag in Griffweite auf einem niedrigen Stuhl.
»Herr!« Angelo warf sich auf die Knie. »Bitte nehmt mich wieder in Eure Dienste, ich …«
»Der Kerl ist also doch Euer Diener?« Arnulf blickte mit unverhohlener Abneigung zu dem Lombarden hinüber.
»Nicht direkt«, murmelte Rother. Was, um Himmels willen, sollte er nur sagen? »Er war …«
»Ich bin dem Herrn zu jener Zeit zur Hand gegangen, als er noch niedere Dienste verrichtet hat«, mischte sich Angelo ein und erwiderte Arnulfs feindselige Blicke.
»Ja, er hat mir manchmal geholfen, als ich noch Knappe war. Und nun möchtest du wohl wieder in meinen Dienst treten, Angelo? Hat sich schon herumgesprochen, dass ich jetzt zu den Herren gehöre?« Rother verabscheute es, in diesem Ton zu reden, aber er musste Arnulfs Argwohn zerstreuen. Er nickte seinem Bediensteten zu. »Lass mich mit ihm allein. Er hat mich damals sitzenlassen, als wir bis über beide Ohren in der Arbeit steckten. Ich glaube kaum, dass er zum Knecht taugt! Du kannst zurück an deine Arbeit gehen.« Er gab Arnulf einen Wink.
»Soll ich ihn nicht lieber gleich aus dem Heerlager werfen lassen?«
»Wartet keine dringendere Arbeit auf dich?« Der junge Ritter hatte nur leicht den Ton erhoben. Es genügte, um Arnulf ohne ein weiteres Wort verschwinden zu lassen.
»Was, zum Teufel, machst du hier, Angelo? Du bringst uns beide in Gefahr, wenn …«
»Mir war kein Weg zu weit, um wieder meinem Herrn zu dienen.« Leiser fügte der Lombarde hinzu: »Gibt es einen anderen Ort, an dem wir reden können? Ich fürchte, hier haben die Wände Ohren.«
»Du hast Recht«, flüsterte Rother. »Gehen wir zum Fluss. Da können wir jeden unerwünschten Lauscher schon von weitem kommen sehen.«
Es dauerte eine Weile, bis sie das Heerlager durchquert hatten und
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