Königin der Engel
über Nano und was man damit anfangen konnte. Der Tunnel mündete in eine warme Glasröhre mit einem Durchmesser von mehr als drei Metern, die dreißig Meter weit über eine offene Grube voller plumper grauer Würfel Zylinder Tausendfüßler führte, krebsartiger Gebilde, die weitere Würfel und Zylinder trugen. Mary stieg Meeresgeruch mit einem starken Beigeschmack von Hefe in die Nase. Sonnenlicht sickerte durch Nebelschleier herab, die abwechselnd rot und blau waren. Die Nebelschleier strömten mit unheimlicher Eigenmotivation um die riesigen Proschinen herum und durch sie hindurch. Unten legten einige der wandernden Würfel die Gerippe von Wänden hinter sich ab; andere Würfel, die in mehreren Metern Abstand hinterdrein kamen, füllten diese Gerippe mit den richtigen Glasfaserkabeln, Strom- und Flüssigkeitsleitungen. Zwischen den Wänden lagen grau beschichtete, klobige alte Klimaanlagen und Rohrleitungen verborgen, die bereits von Destruktor- und Recyclingnano abgebaut wurden. »Auf dieser Etage sind sie in ein paar Tagen fertig«, sagte Ernest.
»Was soll das werden?«
»Hier im Erdgeschoß, wo wir jetzt sind, kommt ein Ausstellungsraum für die Combbürger hin. Für jeden, der genug Geld hat. Die armen Schlucker aus dem Schatten produzieren Techkunst, und die Geldsäcke aus den Combs ergötzen sich am >primitiven Ambiente<.«
»Klingt servil«, sagte sie.
»Unterschätze uns nicht, mein Comb-Schätzchen«, warnte Ernest. »Eine Reihe von Spitzenkünstlern aus den Combs kommen nur wegen der zusätzlichen Attraktion hierher.« Er schien enttäuscht zu sein, daß sie nicht total begeistert war. In Wirklichkeit machte die Aktivität sie nervös. Sie hatte ihre eigene Rekonstruktion, die von Dr. Sumplers unendlich viel raffinierterem Nano ausgeführt worden war, nicht miterlebt; nun gab es Mary einen Stich, zu sehen, wie dieses alte Hotel neues Fleisch und neue Knochen bekam. Sie warf einen raschen Blick auf die Nanonarben an Ernests Fingern. Er sah ihren Blick, hob die Hände, schüttelte den Kopf und sagte: »Sowas kommt nicht mehr vor. Ich hab’s im Griff, Mary. Kein Grund zur Sorge.«
»Entschuldige.« Sie küßte ihn und zog ein bißchen den Kopf ein, als ein Nanospritzer über die Verbindungsröhre hochschoß, an einem gegenüberliegendem Pfeiler klebenblieb und zu einem schlaffen Zylinder gerann. »Das ist doch nicht alles dein Projekt«, sagte sie. »Woran arbeitest du selbst?«
»Das ist der Höhepunkt«, sagte er. »Haben wir den ganzen Tag Zeit?«
»Hoffentlich.«
»Dann laß es mich in aller Ruhe enthüllen. Und versprich mir eins. Du wirst es niemandem erzählen.«
»Ernest.« Mary versuchte, eingeschnappt zu klingen, aber ein weiterer Nanospritzer ließ ihre Stimme umschlagen, und sie duckte sich unter dem dahinjagenden Schatten. Er legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm und lief dann winkend weiter. »Komm mit, es gibt so viel zu sehen!«
Sie holte ihn in einem weiteren Röhrenabschnitt tief im Innern des alten Hotels ein, das jetzt ein großer Hohlraum voller schlummernder Megaproschinen war. »Das Atrium«, erklärte er. »Früher war das mal ein schönes Hotel. Glas und Stahl, wie ein Raumschiff. Aber die Geldflut schwappte in die Combs, und von Einheimischen und ausländischen Studenten konnte es nicht überleben. 2024 wurde es von einem religiösen Orden übernommen, aber der Orden ging bankrott, und seitdem ist es von einer Hand zur anderen gegangen. Niemand hat daran gedacht, es zu einem Haus für Künstler zu machen – Künstler konnten ja unmöglich soviel Geld haben!«
Die Röhre endete an den verschrammten Messingtüren eines alten Fahrstuhls. »Der ist sicher«, sagte Ernest. »Er kommt als letztes dran, oder vielleicht behalten wir ihn auch… Das Komitee hat sich noch nicht entschieden.« Er drückte auf einen vom Alter weiß verfärbten, wärmeempfindlichen Plastikknopf, und die Türen öffneten sich mit einem dumpfen Laut. »Nach oben.« Ernest stieg hinter ihr ein. Er marschierte auf dem abgenutzten Teppichboden hin und her, grinste und ballte die Hände zu Fäusten. »Du mußt mir versprechen, daß du keinem was erzählst.«
»Ich bin weder eine Plaudertasche noch eine Informantin.«
Er sah sie ernst an. »Es ist extrem, Mary. Es ist wirklich extrem, und es muß absolut geheimgehalten werden. Bitte versprich’s mir.« Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, und er befeuchtete sich die Lippen mit der Zunge.
»Ich versprech’s«, sagte sie. Der Mann,
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