Koenigin der Meere - Roman
an Land begraben werden. Ich bitte dich um alles in der Welt, lass uns den nächsten Hafen anlaufen und ihn dort beerdigen.«
Anne nickte zustimmend und versuchte noch einmal, Mary dazu zu bewegen, die Kajüte zu verlassen, doch sie weigerte sich.
»Lass mir Zeit. Ich komme herauf, wenn ich soweit bin.«
Anne ging an Deck und wies Thomas Earl an, Kurs auf Caribarién zu nehmen. Die kleine kubanische Hafenstadt bot die nächste Möglichkeit, an Land zu gehen.
»Wir müssen mit der Royal Queen in einer nahe gelegenen Bucht ankern und dann die Beiboote nehmen. Ich will nicht, dass jemand das Schiff sieht. Es ist zu bekannt hier in der Gegend.« Der Steuermann pflichtete ihr bei.
An Deck war alles ruhig, die Männer taten ihre Arbeit, der Ausguck suchte nach einem Versteck für die Royal Queen . Plötzlich erschien Mary. Mit starrem Blick ging sie auf Fetherston zu und fragte mit fast tonloser Stimme: »Wo ist Rackham?«
Fetherston erschrak über ihr gespenstisches Aussehen. Er deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger zum Heck und packte sie am Handgelenk.
»Es war ein Unfall, Read, er hat es nicht mit Absicht getan.« Mary schüttelte ihn ab und ging wie in Trance zum Heck. Calico lehnte mit geschlossenen Augen an der Reling. Ohne Vorwarnung versetzte Mary ihm einen Tritt zwischen die Beine und spuckte ihm ins Gesicht. Rackham krümmte sich vor Schmerzen.
»Du hast ihn umgebracht! Du Hundesohn, hast ihn umgebracht, und dafür wirst du jetzt büßen! Er war alles, was ich hatte!« Ihr Geschrei lockte die Besatzung an. Die Männer versammelten sich im Halbkreis und sahen tatenlos zu, wie Mary den am Boden liegenden Rackham verprügelte.
»Steh auf, du versoffener Schlappschwanz! Zeig mal, was du kannst, wenn du keine geladene Waffe in deiner verkrüppelten Hand hältst!« Mary war außer sich. Sie zerrte Rackham auf die Füße und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht. Knochen und Knorpel knackten, Rackhams Nase war gebrochen und schwoll augenblicklich an. Blutüberströmt versuchte er vergeblich, sich zu wehren.
»Ich habe ihn geliebt, verstehst du? Wir wollten ein neues Leben anfangen. Du hast nicht nur ihn getötet, sondern auch mich! Dafür schicke ich dich jetzt in die Hölle!« Die Freibeuter wechselten verwirrte Blicke. Was hatten sie da soeben gehört? Ein neues Leben? Read ein Sodomit? Mary drosch noch immer mit beiden Fäusten auf Rackham ein. Der lag zusammengekrümmt auf dem Boden und schützte Kopf und Gesicht mit den Armen vor ihren Schlägen.
»Ich habe dieses Schwein von Virgin getötet, und jetzt bist du dran!« Mary hatte ihren Säbel gezückt und richtete ihn drohend auf ihr wimmerndes Opfer.
»Und genau wie er, sollst auch du wissen, mit wem du es zu tun hast! Ich habe nichts zu verlieren!« Wie seinerzeit bei ihrem Duell, riss sie ihr Hemd auf und entblößte vor versammelter Mannschaft ihre Brüste. Es folgte eine Sekunde verstörter Stille, die sich in lautem Gejohle entlud. Anne, die mit dem Fernstecher am Bug gestanden hatte, hörte den Lärm auf dem hinteren Teil des Schiffes und rannte los. Mit einem Ruck zerrte sie Mary zurück, riss ihr den Säbel aus der Hand und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Mary taumelte gegen die Reling und hielt sich die Wange. Der Hass in ihren Augen wich unendlicher Trauer; sie senkte beschämt die Lider und schloss verlegen ihr Hemd.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, brüllte Anne und kniete sich neben Rackham. Eine seiner Augenbrauen war aufgeplatzt, die gebrochene Nase blutete, die Wangen waren geschwollen. Er spuckte einen Zahn auf die Planken.
»Was fällt dir ein, dich wie eine Furie auf ihn zu stürzen? Ich habe dir gesagt, dass es ein Unfall war. Und du weißt, dass ich an Bord keine Schlägerei dulde. Willst du, dass ich dich erschießen lasse, noch bevor Foster unter der Erde liegt?« Mary schüttelte den Kopf und schluchzte.
»Er hat ihn umgebracht. Er hat ihn einfach umgebracht. Ich musste es für Mike tun«, flüsterte sie. Schweigend beobachtete die Besatzung das Spektakel. James Dobbins fand seine Sprache als Erster wieder.
»Falls hier noch einer eine Frau ist, wäre jetzt vielleicht ein geeigneter Zeitpunkt, es zu sagen. Nicht dass ich, ohne es zu wissen, in einem Harem diene.« Niemand lachte.
Anne erhob sich, steckte Marys Säbel in ihren Gürtel und sagte zu ihr: »Den behalte ich, bis du dich wieder beruhigt hast.« Dann wandte sie sich an die Männer.
»Zwei von euch bringen Rackham in seine
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