Koenigin der Meere - Roman
Bock hatten Anne und Kathy neben Billy Platz genommen. Der Junge hielt die Zügel, so wie Jubilo es ihm beigebracht hatte, und juchzte, als die Pferde sich auf sein Kommando in Bewegung setzten.
Grandma Del sprach kein Wort und wandte den Blick nicht von ihrem Haus, bis es hinter einer Biegung verschwand. Sie zog die Nase hoch, trocknete die Tränen und räusperte sich.
»Auf zu neuen Ufern. Anne!« Die alte Frau drehte den Kopf. »Bist du sicher, dass wir alles eingepackt haben? Auch meine Lieblingsdecke?« Anne lachte.
»Ja, Grandma Del, die habe ich in meinem Seesack verstaut.« Delilah nickte zufrieden, um gleich darauf die Stirn in krause Falten zu legen.
»Anne, ich kann nicht schwimmen! Was ist, wenn das Schiff sinkt?«
»Das Schiff ist ein gutes, großes Schiff. Es wird nicht sinken.«
»Aber wenn doch. Was ist dann?« Jubilo nahm die Hand der alten Frau.
»Dann bin immer noch ich da, Grandma Del, und ich kann gut schwimmen. Du hältst dich einfach an mir fest, und ich schwimme mit dir an Land.«
Anne hatte nicht zu viel versprochen. Die Unity war ein solides Schiff. Billy schaute bewundernd auf die üppigen Schnitzereien, die von Bug bis Heck die Reling zierten. Anne und Kathy umarmten sich innig.
»Du wirst mir sehr fehlen.«
»Ich bin doch nur in Charleston, nicht aus der Welt. Und wenn du mich nicht besuchen kommst, mach dich jetzt schon darauf gefasst, dass ich eines Tages vor deiner Tür stehe.« Anne löste sich und küsste Billy auf den Scheitel.
»Pass gut auf deine Mutter auf. Ab jetzt bist du der Mann im Haus. Ich verlasse mich auf dich.«
Billy nickte und antwortete ernsthaft: »Du kannst dich auch auf mich verlassen.«
Anne bestieg das Beiboot als Erste. Stützend reichte sie Grandma Del die Hand. Nachdem Kisu sich gesetzt hatte, hob Jubilo den kleinen Jack neben seine Mutter und half den beiden Matrosen beim Ablegen.
Anne hatte die Passagen für sich, die drei Kinder und drei Sklaven gebucht.
»Muss das sein? Ich will nicht immer wieder in diese Rolle schlüpfen«, beschwerte sich Jubilo. Anne erklärte ihm, dass es besser war, keinen Verdacht zu erregen.
»Es sind nur ein paar Tage. Die Seeleute kennen sich untereinander, ich will auf keinen Fall riskieren, dass es irgendwann heißt, Anne Bonny ist mit drei freien Schwarzen und drei Kindern unterwegs. Ihr werdet mich, bis wir in Charleston sind, mit Madam ansprechen, Kisu ist für Mike zuständig, Grandma Del wird sich um Mary kümmern und passt auf Jack auf. Ich habe dem Kapitän gesagt, dass mein Mann in Charleston auf uns wartet und wir von dort mit der Kutsche ins Landesinnere fahren, wo wir auf einer Farm leben. Auf diese Weise verwischen wir unsere Spur.«
Anne konnte nicht ahnen, dass sie sich grundlos vor dem langen Arm der beiden Gesetzeshüter fürchtete. Als die Wachleute Marys Leichnam gefunden und Annes Flucht entdeckt hatten, blieb ihnen nichts anderes übrig, als Nicholas Lawes von dem peinlichen Vorfall zu berichten.
Der Gouverneur begab sich auf dem direkten Weg zum Gefängnis. Mit eingezogenen Köpfen ließen die Soldaten den Wutausbruch ihres Herren über sich ergehen und wagten nicht, ihn darauf hinzuweisen, dass es eine von ihm persönlich unterzeichnete Vollmacht gewesen war, die Hamilton vorgezeigt hatte.
»Die Tote wird noch heute Nacht hinter der Stadtgrenze auf dem Anger verscharrt. Ich wünsche äußerste Diskretion! Wehe dem, der auch nur einen Ton von sich gibt über das, was hier geschehen ist. Und was die Flüchtige betrifft: Wir werden ihre Spur nicht aufnehmen. Vermutlich ist sie längst auf hoher See. Mir fehlen Mittel und Männer, um ein Schiff auszurüsten und sie zu jagen. Wenn Rogers sie unbedingt wieder einfangen will, soll er das tun. Ich brauche mein Geld für andere Dinge. Wenn dieses Weibsstück den Mut hat, wieder zur See zu fahren und zu räubern, wird sie früher oder später ohnehin erwischt. Wenn sie aufhört mit der Piraterie, richtet sie keinen Schaden mehr an.«
Hätte Anne gewusst, dass Lawes keine Anstalten machte, sie zu verfolgen, eine zentnerschwere Last wäre von ihrem Herzen gefallen. So fürchtete sie noch immer um ihr Leben und das ihrer Schützlinge und zählte die Stunden, bis sie in Charleston an Land gehen und auf der Plantage ihres Vaters Schutz finden würde.
Der Kapitän der Unity empfing sie mit einem Handkuss.
»Madam, es ist mir eine Ehre, Sie an Bord begrüßen zu dürfen. Zum Diner sind Sie selbstverständlich mein Gast in der Kajüte.
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