Koenigin der Meere - Roman
auf Annes wertvolle Armspange.
Binnen Sekunden entstand in Annes Bauch ein wütender Vulkan.
»Wie recht Sie doch haben, zwischen uns ist eine große Distanz, und wenn ich es mir genau überlege, wäre es im Augenblick vor allem für Sie besser, wenn diese Distanz noch größer wäre.«
Sie griff in Miss Lawes’ Ausschnitt, zog den Stoff vom Dekolleté und schüttete ihr volles Champagnerglas hinein. Dann drehte sie sich um und verließ den Raum, ohne auf Lucinda Lawes hysterisches Geschrei zu achten, das in einer gespielten Ohnmacht endete.
Es dauerte nicht lange, da stand Charley Balls vor ihr. Sein Gesicht war bleich vor Zorn, mühsam gelang es ihm, seine Stimme zu beherrschen.
»Wir werden sofort und ohne Umweg nach Hause fahren. Und wenn du dir und mir einen Gefallen tun willst, sprichst du kein Wort!«
Am nächsten Morgen verließ Balls das Haus und blieb vier Tage fort. Anne wusste nicht, wo er war, noch, wann er zurückkehren würde. Kurz vor Mitternacht des vierten Tages betrat er ihr Zimmer. Wie so oft in den letzten Monaten setzte er sich in den Sessel und griff in die Tasche seines Seidenmantels. Er zeigte ein mit Diamanten und Saphiren besetztes Kreuz, das an einer schweren Goldkette hing,
sowie die passenden Ohrgehänge und forderte Anne mit einer Geste wortlos auf, sich für ihn zu entkleiden. In der Hoffnung, ihren Fehler wieder gutmachen zu können, gab sie sich Mühe, ihm zu gefallen. Nach einer Stunde erhob sich Balls, legte seine Hände auf ihre Schultern und sah Anne lange an.
»Deine Schönheit würde jeden Stein erweichen, aber dennoch war dies dein letzter Abend in meinem Haus. Dieser Schmuck ist mein Abschiedsgeschenk an dich. Möge das Kreuz dich beschützen. Du hast mir viel Freude gemacht, ich danke dir dafür. Alles, was ich für dich gekauft habe, gehört dir. Pack es zusammen, sag deinem kleinen Jubilo, er wird mir fehlen, und lass dich morgen nach dem Frühstück vom Kutscher hinbringen, wo du möchtest.« Anne wollte etwas erwidern, aber Charley legte seinen Zeigefinger auf ihre Lippen.
»Sag nichts. Ich schicke dich nicht im Zorn fort, aber nachdem, was du dir geleistet hast, kann ich dich nicht mehr hierbehalten.« Als er sie auf die Stirn küsste, sah Anne, dass Charley Balls Tränen in den Augen hatte.
»Schaff diese Frau fort, sonst sorge ich dafür, dass du nirgends mehr einen Fuß auf den Boden bekommst«, hatte Gouverneur Nicholas Lawes, von seiner Schwester angestachelt, unmissverständlich gefordert.
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D u musst ihn verzaubert haben! Da ist ja ein Stück schöner als das andere!« Kupfer-Cissy tat sich schwer, die Entscheidung zu fällen, welche Schmuckstücke sie als ihren Anteil nehmen sollte. Anne ließ ihr freie Wahl.
»Nur die Ohrringe und das Kreuz nicht, das hat er mir zum Abschied als Talisman geschenkt.«
Anne hatte das gleiche Problem wie zuvor. Sie war eine Frau, und sie war allein.
»Cissy, du musst mir helfen. Ich brauche eine Hose aus Leder, zwei Hemden, einen großen Hut und ein paar anständige Schuhe, ohne Schleifen, Perlen und Verzierungen. Ich werde mich als Mann verkleiden und einen Teil des Schmuckes verkaufen. Mit dem Geld besorge ich mir eine Ausschanklizenz und mache eine Taverne am Hafen auf. So kann ich mit Jubilo leben und muss keine Angst vor fremden Kerlen haben.«
Cissy beobachtete amüsiert, wie Anne sich in einen zünftigen Burschen verwandelte. Sie half Anne, ihre Brüste mit Streifen aus Leinen fest an den Körper zu binden, die roten Locken verschwanden unter einem dunklen Hut. Hose und Schuhe saßen wie angegossen, und die Rundungen ihrer Hüften verschwanden unter einem weiten Hemd. Anne betrachtete sich zufrieden im Spiegel.
»Deine Haut ist zu hell und zu zart.« Cissy nahm eine Handvoll Asche aus dem Kamin und rieb sie auf Annes Wangen. »So ist es besser.«
Gemeinsam mit Jubilo zog Anne wieder zu Mulatto-Molly.
»Nur für ein paar Tage, Molly, bitte, ich weiß nicht, wo ich sonst
mit dem Jungen hin soll. Gib mir ein paar Tage, ich verspreche dir, ich finde eine Lösung.« Molly nahm sie in den Arm.
»Mach dir keine Gedanken. Ich freue mich, wenn Jubilo wieder bei mir arbeitet, der Rest wird sich ergeben.«
Eine Woche später hatte Anne gefunden, was sie suchte. Am hinteren Ende der langen Kneipenreihe stand eine Holzhütte. Der Besitzer war bei einer Messerstecherei ums Leben gekommen und die Lizenz noch nicht wieder vergeben worden. Anne hielt dem zuständigen Beamten ein Säckchen mit Acht-Reales-Stücken
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