Königin der Piraten
er kniete neben einer Meerwasserpfütze nieder, um sich darin zu spiegeln und seine Erscheinung zu begutachten.
Sein Lächeln verflog. Tja, vielleicht würde es doch mehr als ein paar Tage dauern ...
Die Sonne stieg höher und tauchte die Bucht in helle, üppige Rosa-und Goldtöne. Gray stand auf, ließ die Flut seine Knöchel umspülen und seine Gedanken ins Blaue schweifen. Piraten. Ob Morgan je auf dieser Insel gewesen war? Hatte Blackbeard jemals seine Schaluppe just auf diesem Strand kielgeholt? Hatte Bellamy je irgendeinen Verräter an dieser verlassenen Küste ausgesetzt? Gray lächelte schwach und wünschte sich, er könnte sich in die Vergangenheit zurückversetzen und mit seinen großen Vorbildern ein, zwei Becher heben. Wäre er doch bloß nicht siebzig Jahre zu spät geboren worden ...
Gähnend streckte er sich. Allmählich wurde es warm, da die Morgensonne die Luft aufheizte. Das Wasser glitzerte silbrig in der Bucht. Gray zog sein Hemd aus und freute sich daran, wie die leichte Brise seine Haut küsste und der Sand zwischen seinen Zehen hindurchdrang. Dann schlüpfte er aus der Hose und warf sie beiseite. Einen Augenblick lang stand er genießerisch da, den nackten goldbraunen Körper der Sonne entgegengereckt - das Ebenbild eines griechischen Meeresgottes mit wahrhaft klassischen Proportionen. Mit leichter, fließender Eleganz lief er am schäumenden Meeresgestade entlang, stürzte sich in die Brandung und tauchte unter.
Er schwamm mit kraftvollen Zügen und bewegte sich im Wasser so natürlich wie ein Meerestier. Als er wieder an die Oberfläche kam, holte er tief Luft und tauchte erneut unter. Mit den Händen schaufelte er Sand und schrubbte sich damit die Haut sauber, bis sie heftig brannte; dann begab er sich auf Entdeckungsreise. Er sah einen leuchtend orangefarbenen Seestern in den wogenden Wasserpflanzen nisten, die wie ein Teppich den Meeresgrund bedeckten, und geriffelte Korallenkugeln, zwischen denen kleine Fische in allen Farben schwammen. Seltsamerweise war der Delfin, der ihn hergebracht hatte, nicht zu sehen. Zweifellos begleitete er den kleinen Schoner ... oder er war auf der Suche nach dem nächsten unglücklichen Seemann, der sich für einen Piraten ausgab.
Piraten ...
Gray tauchte erneut unter, schwamm durch die Sonnenstrahlen, die bis in die Tiefe drangen und auf dem Sand, den Korallen, den Fischen selbst leuchteten. Er fand jedoch keine spanischen Münzen eines längst verschiedenen Seeräubers, keine juwelenbesetzten Dolche, die hinter einer leuchtend roten Koralle hervorlugten, keine ausgebleichten Totenschädel, keine Schatztruhen und keine uralten Spanten, die einst das Heck eines Piratenzweimasters geformt hatten. Doch es machte Spaß, sich das alles auszudenken. Als Gray schließlich genug davon hatte, tauchte er wieder auf und ließ sich auf dem Rücken treiben, blinzelte in die Sonne und paddelte träge mit den Beinen, um sich vorwärts zu bewegen. Noch einmal tauchte er unter, bevor er aus dem Wasser stapfte, splitternackt und gründlich erfrischt.
Er trocknete sich mit seinem Hemd ab, hängte es sich zusammen mit seiner Hose über die Schulter und schlenderte, nur mit seinem goldenen Piratenohrring bekleidet, den Strand hinauf zum Haus. Sein Magen knurrte.
»Kapitän Lord wünscht Euch zu sprechen, Sir!«, meldete der Marinesoldat, der vor Lord Nelsons geräumiger Kajüte an Bord der Victory Wache stand.
Der Admiral öffnete selbst di e Tür. »Ah, Colin!«, empfing er den Kapitän und bat ihn mit herzlichem Lächeln in sein prächtig möbliertes Quartier. »Kommt herein - ich hoffe, Ihr habt Euch von unserem unerwarteten Besuch gestern Abend erholt?«
»Genau darüber wollte ich mit Euch sprechen, Sir.«
Kapitän Colin Nicholas Lord klemmte seinen Hut unter den Arm und betrat die riesige, sonnendurchflutete Kajüte, die sich von Backbord bis Steuerbord erstreckte und zusammen mit dem angrenzenden Salon das gesamte Oberdeck im Achterschiff der Victory einnahm. Dies waren die Privatgemächer des Admirals.
»Bitte nehmt Platz, Colin. Ein wenig Wein?«, bot Nelson an, während er die Tür schloss. »Käse?«
»Nein, vielen Dank«, erwiderte Colin, doch Nelson dirigierte ihn bereits zu einem kleinen runden Tisch vor den großen Fenstern am Heck, auf dem ein Tablett mit Erfrischungen bereitstand. Colin hatte keinen Hunger, aber aus Höflichkeit zog er sich einen Stuhl heran und nahm ein Glas Portwein entgegen.
»Also«, sagte Nelson und setzte sich bequem in
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