Königin der Schwerter
sehr enttäuscht, weil ich feststellen musste, dass nicht alle von euch diese Freude mit mir teilen wol l ten. In der Abgeschiedenheit des He i ligtums hat jene, zu der ihr seit vielen Jahren aufg e blickt habt, versucht mich zu töten. Allein eurer m u tigen Schwester Mel ist es zu verdanken, dass nicht ich, sondern sie selbst d a bei den Tod fand.« Sie machte eine bedeutungsvolle Pause, um die Worte wirken zu lassen, und fuhr dann fort: »Das Schicksal eurer geliebten Seherin hingegen betrübt auch mich zutiefst. In ihrer Sorge um mein Wohlergehen b e dachte Bethia nicht ihre eigene Schwäche und gab ihr Leben, damit ich wohlbehalten hier ankommen sollte. Ein wahrlich tragisches Schic k sal, jedoch geprägt von einem Edelmut und einer Selbstlosigkeit, wie man sie nur selten bei einem Me n schen findet. Ich werde sie in meine Gebete einschli e ßen, auf dass ihr das Opfer im Halvadal gewürdigt we r den möge.« Als sie weitersprach, gewann ihre Stimme an Schärfe. »Am Morgen erreichte mich die unglaubliche Kunde, dass die Botin des Dolches und deren Schwester offenbar mit den Schergen Torpaks im Bunde stehen. Die Bitte, sich euch anschließen zu dürfen, diente einzig und allein dazu, uns unsere G e heimnisse zu entlocken und die Krieger unseres Fei n des hierher zu führen. Es steht zu befürchten, dass sie die Oberin bereits für sich gewinnen kon n ten. Und als sei das alles noch nicht schlimm genug, stand Bethias Novizin ihnen bei ihrem schändlichen Treiben offe n bar auch noch hilfreich zur Seite. Sie war es, die ihnen in der Nacht zur Flucht verholfen hat …« Während sie sprach, ließ Zarife den Blick beständig über die G e sichter der Versammelten schweifen und band diese durch einen intensiven Blickkontakt nach und nach an ihr Bewusstsein. Die unsichtbaren Fäden durchzogen den Raum wie ein Spinnennetz und leiteten immerzu einen einzigen stummen Satz von Zarifes Geist an die Hüterinnen weiter: Sie sagt die Wahrheit. Sie sagt die Wahrheit …
Der Erfolg war schon wenig später deutlich zu sp ü ren. Je länger die Rede andauerte, desto mehr wichen Unsicherheit, Misstrauen und Hass aus den Blicken der Hüterinnen. Als Zarife schließlich dazu überging, den Frauen ihre Pläne für den Feldzug gegen das Heer aus Torpak zu erläutern, wusste sie die fünfzig Seelen uneingeschränkt hinter sich.
»Wir sind nur fünfzig, aber wir werden siegen!«, rief sie kämpferisch aus. »In der Zeit der Verba n nung habe ich Freunde gewonnen, mächtige Freu n de, die nur darauf warten, dass ich sie zu Hilfe rufe. Sobald ich das Tor zu ihren Gefilden gänzlich g e öffnet habe, werden sie wie eine alles verschlinge n de Flut über die Barbaren aus Torpak herfallen und hundertfach vergelten, was diese Benize damals a n getan haben.«
Die Hüterinnen jubelten. Keine fragte danach, was das für Verbündete waren. Niemand wollte wi s sen, welchen Lohn sie für ihre Dienste erhielten, und nicht eine stellte die Frage, ob sie das Land nach ihrem Sieg auch wieder verlassen würden. Sie waren wie berauscht von Zarifes Worten und nahmen alles so hin, wie die Hohepriesterin es sich wünschte.
Zarife sah es und lächelte huldvoll. Selbst die Hüt e rinnen in den hintersten Reihen waren ihr nun bedi n gungslos ergeben. Sie war am Ziel. Die Rache konnte beginnen. Zufrieden drehte sie sich zu Mel um, die wie eine Leibwache am Fuß der Empore stand. Da bemerkte sie aus den Augenwinkeln eine winzige B e wegung zu ihrer Rechten.
Eine halbe Armeslänge neben ihrem Gesicht ließ sich eine der haarigen schwarzen Höhlenspinnen g e mächlich an einem Faden von der Decke hina b gleiten. Zarife stockte der Atem, sie zitterte. Angstschweiß per l te auf ihrer Stirn. Sie brachte kein Wort mehr he r vor. Die Welt vor ihren Augen schrumpfte zusammen, bis es nur noch die Spinne gab, die soeben innegeha l ten hatte, als überlege sie, ob sie den Weg zum Boden fortsetzen oder lieber auf Zarifes Schulter klettern so l le.
Niemals zuvor hatte Zarife sich so hilflos gefühlt. Weder ihre Magie noch ihr Verstand vermochten der unglaublichen Angstgefühle Herr zu werden, die sie beim Anblick der Spinne übermannten. Mel sprach sie an, aber sie war nicht in der Lage zu antworten. Sie konnte nur das grauenhafte Spinnenbiest ansta r ren und hoffen, dass es sie nicht berühren würde.
Am Ende war es Mel, die sie aus der unerträgl i chen Lage rettete. Offenbar hatte die Hüterin e r kannt, was vor sich ging. Mit einer raschen Bewegung durc h trennte
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