Königin der Schwerter
muss da vorn zu meiner Großmutter.« zwängte sie sich höflich, aber bestimmt an den Wartenden vorbei. Dabei achtete sie weder auf die empörten Proteste noch auf die B e schimpfungen, die man ihr nachrief Ihr einziger G e danke galt dem Hund, dem sie auf keinen Fall bege g nen durfte. Endlich hatte sie die Seniorengruppe e r reicht. Mehr als fünfzehn Leute trennten sie nun von Manon, die sich brav am Ende der Schlange eingereiht hatte. Fünf Reisende vor ihr befand sich die Kontrolle für das Handgepäck.
Ohne auf die dicke Frau hinter sich zu achten, die sich keifend über ihr schlechtes Benehmen ereiferte, legte Sandra ihren Rucksack auf das Band. Ein Blick zurück zeigte ihr, dass der Mann mit dem Hund die Reisenden erreicht hatte. Wie zufällig ließ er die Leine länger werden und erlaubte es dem Spaniel, an den Taschen und Rucksäcken der Reisenden zu schnu p pern. Sandra hörte den Hund hinter sich h e cheln und war froh, dass ihr Rucksack schon auf dem Band lag. Dennoch klopfte ihr Herz so laut, dass sie fürchtete, es könne sie verraten.
Die Welt schien den Atem anzuhalten. Alle Gerä u sche verstummten, die Umgebung verschmolz zu einer grauen, konturlosen Masse. Es war, als gäbe es nur noch sie und den Hund, der schnuppernd um ihre Beine strich. Sie konnte die Gefahr, die von dem Tier ausging, fast körperlich spüren. Der Hund war ihr Feind. Er wollte ihr schaden, sie vernichten. In Bruc h teilen von Sekunden blitzten Bilder in ihren Gedanken auf, die ihr fremd und doch auf seltsame Weise ve r traut waren. Da war ein weißer Tempel, ein Heer fackeltragender Kri e ger, eine junge Frau in schlichtem grauem Gewand, die sie flehend anblic k te, ein Krieger mit erhobenem Schwert, das Gesicht von Wut verzerrt …
Die Bilder lösten einen Sturm von Gefühlen in ihr aus. Hass, Rachegedanken. Für einen Augenblick glaubte sie, davon mitgerissen zu werden, sich zu ve r lieren. Sie bekam Angst und wehrte sich. Der Versuch, sich von den inneren Bildern loszureißen, ging fast über ihre Kräfte. Nur mit einer enormen Willensa n strengung gelang es ihr, sich zu beruhigen. Die Bilder verblassten, und mit ihnen lösten sich auch die heft i gen Empfindungen auf Stimmen und Geräusche keh r ten zurück, die Umgebung war wi e der zu erkennen.
Der Hund war fort.
»… sind ja wohl die unverschämteste Person, die mir jemals begegnet ist. Hallo? Ich rede mit Ihnen.« Eine fleischige Hand legte sich auf ihre Schulter. Ü p pig beringte Finger mit langen, himmelblau l a ckierten Nägeln griffen zu wie eine Klaue.
»Fassen Sie mich nicht an!« Sandras Kopf flog he r um, während sie das Handgelenk der Frau packte und die fleischigen Finger von ihrer Schulter riss. Die Frau verzog schmerzhaft das Gesicht, aber Sandra war noch nicht fertig. Statt die Hand fre i zugeben, verstärkte sie den Druck noch und beugte sich so weit vor, dass sie der Frau direkt in das au f gedunsene Gesicht blickte. »Nie wieder!«, zischte sie ihr drohend zu. »Versta n den?«
Die Frau presste die Lippen zusammen und nic k te.
»Gut.« Mit einem Ruck ließ Sandra die Hand los. Die Frau murmelte etwas Unverständliches und rieb sich das gerötete Handgelenk.
»Ist das da Ihr Rucksack?«
Es dauerte einen Augenblick, bis Sandra verstand, dass die Frage ihr galt. Erst jetzt bemerkte sie, dass eine Lücke entstanden war, weil die Pass a giere vor ihr schon abgefertigt waren und sie nicht aufgeschlossen hatte.
»Ja … ja klar«, stammelte sie und versuchte, d a bei so normal wie möglich zu wirken. Schnell schob sie ihren Rucksack vor, damit der Inhalt überprüft we r den konnte. Über die Köpfe der Wartenden hi n weg sah sie, wie Manon den Hals reckte. Sie wirkte nervös und sehr besorgt. Umso größer war das E r staunen auf ihrem Gesicht, als der Angestellte Sandra den Ruc k sack mit den Worten reichte: »In Ordnung, Sie kö n nen weitergehen.«
20
»Verloren?« Karadeks Faust krachte auf den Tisch. Ruckartig stand er auf und scherte sich nicht darum, dass der Stuhl hinter ihm umstürzte. »Was soll das heißen: Ihr habt ihn verloren?«
»Das heißt, dass die Sucher den Simion nicht mehr finden können.« Odion wirkte äußerlich gela s sen, aber seine Hände waren feucht. Zu oft schon war er Zeuge von Karadeks Willkür geworden. »Die beiden anderen wurden zerstört, wie Ihr es befohlen habt – der dritte ist fort.«
»Fort?« Karadek kam um den Tisch herum auf den Auguren zu. Wie immer, wenn er sehr aufg e bracht war, wurde seine
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