Königin des Lichts: Drei Romane in einem Band (German Edition)
Antwort neigte Orna das Haupt. »Und dennoch hat sie ein verletzliches Herz, auch wenn sie das selbst nicht glaubt.« Orna stellte eine Karaffe und einen Becher auf den Tisch neben dem Bett. »Geht sorgsam damit um. Gebt ihr etwas von diesem Tonikum, wenn sie erwacht. Ich bleibe in der Nähe, falls Ihr mich braucht.«
Als er mit ihr allein war, zog Kylar einen Stuhl ans Bett und beobachtete die schlafende Deirdre. Aus einer Stunde wurden zwei. Im Feuerschein wirkte ihr Gesicht so blass und starr wie Marmor, und sie sah aus, als würde sie wie die berühmte Prinzessin hundert Jahre lang schlafen.
Noch vor wenigen Tagen hätte er solche Geschichten für alberne Ammenmärchen gehalten, aber nach dem, was er gesehen und erlebt hatte, schien ihm alles möglich.
Doch neben der Sorge machte sich Ärger in ihm breit. Sie hatte ihr Leben aufs Spiel gesetzt, denn er hatte gesehen, wie die kalten Finger des Todes über sie hinwegglitten. Ihr Leben für das des Kindes.
Und für das seine, davon war er mittlerweile überzeugt.
Als ein kaum merkliches Flattern ihrer Lider ihm verriet, dass sie das Bewusstsein wiedererlangt hatte, goss er ihr das Tonikum, das Orna zurückgelassen hatte, in den Becher.
»Trink das.« Er hob ihren Kopf an. »Sprich nicht, trink nur.«
Seufzend nickte sie, und die Hand, die sie erhoben hatte, fiel kraftlos zurück. »Phelan?«, flüsterte sie.
»Ich weiß es nicht.« Er hielt ihr den Becher ein zweites Mal an die Lippen. »Trink weiter.«
Sie gehorchte. Dann wandte sie den Kopf ab. »Erkundige dich. Frage, wie es dem kleinen Phelan geht. Bitte, ich muss es wissen.«
»Zuerst trinkst du aus.«
Gehorsam befolgte sie seine Anweisung und sah ihn dabei aus großen Augen an. Wäre sie nicht so geschwächt gewesen, dann wäre sie selbst gegangen, aber in ihrem augenblicklichen Zustand musste sie sich auf Kylar verlassen.
»Bitte. Solange ich nicht weiß, wie es um ihn steht, werde ich unruhig sein.«
Kylar stellte den leeren Becher ab und ging zur Tür. Orna saß auf einem Stuhl im Gang und nähte im Licht einer Kerze. Bei seinem Erscheinen blickte sie auf. »Richtet der Herrin aus, sie brauche sich nicht zu sorgen. Der kleine Phelan ruht und befindet sich auf dem Weg der Besserung.« Sie erhob sich. »Wenn Ihr Euch zurückziehen möchtet, werde ich mich um die Königin kümmern.«
»Geh zu Bett«, befahl er kurz angebunden. »Heute Nacht bleibe ich bei ihr.«
Orna neigte den Kopf und lächelte insgeheim. »Wie Ihr wünscht.«
Er ging ins Zimmer zurück und schloss die Tür hinter sich. Als er sich umwandte, stellte er fest, dass Deirdre aufrecht im Bett saß. Ihr Haar ergoss sich wie flüssiger Honig über ihr weißes Nachthemd.
»Der Junge ruht und befindet sich auf dem Weg der Besserung.«
Bei diesen Worten kehrte die Farbe in ihre Wangen zurück, und ihre matten Augen belebten sich. Er stellte sich an das Fußende ihres Betts, über dem ein Himmel aus tiefrotem Samt schwebte. »Du erholst dich aber schnell.«
»Das Tonikum ist sehr wirksam.« Tatsächlich konnte sie nun wieder klar denken. Selbst die Nachwehen des Schmerzes verblassten mehr und mehr. »Danke für deine Hilfe. Seine Eltern wären zu verstört gewesen, um mir von Nutzen zu sein. Ihre Sorge hätte mich abgelenkt. Mehr noch, Furcht nährt den Tod.«
Ein wenig misstrauisch sah sie sich im Zimmer um. Orna hatte ihren Morgenmantel nicht bereitgelegt. »Bitte
entschuldige mich jetzt, ich möchte selbst nach ihm sehen.«
»Nicht heute Abend.«
Zu ihrem Entsetzen ließ er sich direkt neben ihr auf dem Bett nieder. Nur ihr Stolz hielt sie davon ab, zur Seite zu rücken und sich die Decken bis unter das Kinn zu ziehen.
»Ich habe Fragen an dich.«
»Ich habe bereits mehrere deiner Fragen beantwortet.«
Er zog die Brauen hoch. »Aber jetzt habe ich neue. Der Junge lag im Sterben. Sein Schädel war zerschmettert, sein Genick verletzt, wenn nicht gebrochen. Sein linker Arm war völlig zertrümmert.«
»Ja«, erwiderte sie ruhig. »Und in seinem Körper gab es noch weitere Verletzungen. Er blutete nach innen. So viel Blut für solch ein kleines Kind. Aber unser Phelan hat ein starkes Herz. Er ist mir besonders wichtig.«
»Binnen weniger Minuten wäre er tot gewesen.«
»Aber er ist es nicht.«
»Warum?«
»Das kann ich nicht beantworten.« Ruhelos zupfte sie an ihrem Haar. »Ich kann es dir nicht erklären.«
»Du willst nicht.«
»Ich kann es nicht.«
Als sie das Gesicht abwenden wollte, fing er ihr Kinn ein und hielt
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