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Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)

Titel: Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Berger
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seiner Kehle zu stillen. Aber er stapfte weiter – automatisch einen Fuß vor den anderen setzend. Hunger quälte ihn und die Gedanken in seinem Kopf begannen sich zu verwirren, sich mitden Erlebnissen von früher zu vermischen. Manchmal glaubte er, den Geschmack von Champagner und den unvergesslichen Königsberger Klopsen auf der Zunge zu spüren und Magdalenas Stimme zu hören: »Ich habe noch nie etwas Köstlicheres gegessen …«
    Dann war ihm, als sei er wieder so betrunken wie damals, von Liebe, von dem Geruch der würzigen Seeluft und der Wirkung des Champagners, von dem er nie zuvor einen Schluck gekostet hatte. »Aber du hast es nicht gemerkt, Liebste, sei ehrlich!« Magdalena nickte ihm durch den Nebel seiner Träume zu. »Halte durch!«, schien sie zu sagen. Ein Lächeln verzog sein Gesicht. Er merkte nicht, dass er mit sich selbst sprach, dass seine Füße wie in Trance marschierten, während sich sein Kopf bereits in einer anderen Welt befand. Er spürte Hunger und Fieber nicht mehr, stapfte wie ein Automat über den lehmigen Boden, sank ein und zog sich mit Gewalt wieder heraus. Dann hielt er sich nur noch mit beiden Händen an dem rappelnden, voranrollenden Panjewagen eines Infanteristen fest und fürchtete sich nur davor, ganz das Bewusstsein zu verlieren. Durch die verschwommenen Bilder in seinem Hirn geisterte der eiserne Vorsatz: Halte durch! Er sagte es jetzt zu sich selbst, ermunterte sich, spornte seinen erschöpften Körper immer wieder an: Durchhalten, um jeden Preis, du willst doch wissen, was mit Magdalena geschehen ist – willst sie wieder sehen, sie beschützen …
    Ab und zu kaute er an einem Stück Holz, irgendeiner Wurzel, und schluckte den bitteren Saft, um den nagenden Schmerz in seinem Innern ein wenig zu besänftigen.
    Irgendetwas blendet plötzlich seine Augen. Er zwinkerte, packte irgendeine Hand, die sich kalt und leblos anfühlte. »Was ist das?«, fragte er. »Seht ihr das?«
    »Die Russen«, stammelte jemand in seiner Nähe mit steifen Lippen. »Sie kommen, sie sind wieder da!«
    Paul reckte sich hoch und kniff die Augen zusammen. Freundoder Feind, jetzt war schon alles egal. Scheinwerfer blitzten auf, blendeten ihn. Oder waren es Farben? Grün, Rot, alles wogte in bunten Wellen durcheinander. Er konnte nicht mehr unterscheiden, was es war. Er zog seine Pistole, schwankte – dann brach er in die Knie.

18. Kapitel
S EHNSUCHT
    Später hatte sich Magdalena oft gefragt, warum es sie trotz der Kriegswirren, trotz der persönlichen Gefahr, in die sie sich begab, noch einmal nach Königsberg gezogen hatte. Es war die Sehnsucht nach Paul, nach der Vergangenheit, die Ohnmacht, mit der sie ihn gesucht und nicht gefunden hatte. Sie wollte Gewissheit. Lebte er – existierte sie noch für ihn? Wo war er geblieben? Was war inzwischen geschehen? Aber auch ein unbestimmtes Heimweh nach der Vergangenheit, nach der heilen Welt, die es einmal für sie gegeben hatte, nach Vertrautheit und einer Sicherheit, die längst nicht mehr bestand. Aber sie wollte auch wissen, wie es ihren Geschwistern inzwischen ergangen war. Schließlich waren sie das Einzige, was ihr von ihrer Familie noch geblieben war. Das Gefühl, das sie zu dieser Reise trieb, war mit der bloßen Notwendigkeit nicht erklärbar, aber die abgeschottete Berliner Mansarde, die Enge, in der sie mit ihrem Kind bei Willi lebte, hatten sie fast erdrückt. Dazu kamen die Unsicherheit und ständige Angst vor dem Fliegeralarm, bei dem sie in den Keller laufen mussten, die Panik, mit der sie dort auf die Geräusche herabfallender und über ihnen explodierender Bomben horchten und hofften, dass es sie diesmal nicht treffen würde.
    Es war eine Erleichterung und ein Glücksfall gewesen, dass Frau Lindental ihr so großherzig angeboten hatte, Paula zu versorgen. Magdalena war sicher, dass ihr Kind bei ihr in guten Händen war. Sie hatte ihre Tochter gern, aber auf eine vernünftige,eher sachliche Art, die jede mütterliche Verzückung ausschloss; vielleicht deshalb, weil sie den Vater, Heinz Richter, schon längst aus ihrem Gedächtnis gestrichen hatte.
    Vor dem Spiegel hatte sie ihre langen blonden Haare straff zu einem strengen Dutt frisiert und unter einem Herrenhut verborgen, sodass man sie beinahe für einen Jungen halten konnte. Die Zugfahrt ging wegen plötzlicher Bombardements und einiger, ungeklärter Aufenthalte ziemlich langsam vonstatten. Nach Königsberg schien kaum jemand mehr zu fahren, und die Abteile waren leer. Doch

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