Königsberger Klopse mit Champagner (German Edition)
kostete.
Während Paul in der schlecht geheizten Schreibstube über den deprimierenden Zahlen der Materialverluste brütete, marschierten die Russen unaufhörlich weiter vor, starben unzählige deutsche Soldaten in weiteren, sinnlosen Kämpfen. Es wurde immer enger, die Monate vergingen in Angst und mit endlosen Bombardierungen.
Robert, sein Kamerad, war kurz vor seinem Einsatz in die Ukraine desertiert. Man hatte ihn bisher nicht gefasst, und Paul wünschte ihm insgeheim viel Glück. Ob sie es schaffen würden, sich dereinst in der besagten Kneipe zu treffen?
Dann näherte sich der Winter mit einer Anhäufung von Niederlagenmeldungen, dem letzten Aufbäumen in Form eines unsinnigen Einsatzes halbwüchsiger »Hitlerjugend« und dem »Volkssturm« älterer Männer. Der Endkampf begann – die letzten Reserven wurden jetzt aufgeboten.
Pauls Arm war inzwischen gut verheilt, und nach einiger Zeit ereilte ihn unerwartet ein neuer Einsatzbefehl. Nachdem der Stabsarzt ihn nach kurzer Untersuchung seines Armes »bedingt tauglich« geschrieben hatte, wurde er mit anderen »Reservisten« zu einem Transport nach Polen eingeteilt. Es sollte nach Tschenstochau gehen, eine Stadt, deren Namen man mit dem traurigen Kapitel der Judenerschießungen in Verbindung brachte. Als eine der wenigen war sie noch von deutschen Soldaten besetzt. Doch kaum mit der Truppe dort angekommen, hieß es, der Russe sei bereits fünfzehn Kilometer vor der Stadt und man müsse schnellstens wieder alles räumen. Überstürzt ging es zum Bahnhof zurück, der Transport an einen anderen Ort wurde angekündigt und organisiert, diesmal nach Neusalz an der Oder. Dort, am Ostufer des Flusses, sollte Neusalz von den eingetroffenen Reservekräften verteidigt werden, denn auch dort war die Rote Armee schon angekommen. Ein Widerstand erwies sich in der Folge aber beim besten Willen als nicht durchführbar. In einem Wirrwarr ohnegleichen wurden schließlich Marschbefehle ausgeteilt, mit denen sich jeder auf eigene Faust auf den Weg machen sollte. Resignierend blickte Paul auf den Strom der Flüchtlinge, auf die letzten Reserven bedingt kampffähiger Soldaten, die sich mit den noch Gehfähigen aus dem Lazarett mischten. Alle strömten, humpelten, eilten gen Westen und füllten die Straßen, so weit man sah. Da er kein anderes Ziel hatte, beschloss Paul, in die Berliner Kaserne zurückzukehren. Eigentlich war ihm alles gleichgültig – er ließ sich vom Strom der Menschen mitziehen. Er hatte keine Zukunftsperspektive und keine Heimat mehr; Deutschland lag am Boden, Königsberg gab es nicht mehr – die Zukunft schien düster und ausweglos.
20. Kapitel
U M H AARESBREITE
Magdalena hatte die leichten Abschürfungen und ihre Platzwunde am Kopf im Königsberger Krankenhaus versorgen lassen. Da es sich um nichts Ernstes handelte, durfte sie gleich wieder gehen, denn in den Krankensälen ging es zu wie in einem Taubenschlag. Viele Soldaten und weniger schwere Fälle waren bereits in noch bestehende Turnhallen oder andere Vereinsräume ausgelagert worden. Ein dumpfer Geruch nach Blut, Eiter und scharfen Desinfektionsmitteln stand im Raum, der von Stöhnen und erstickten Schmerzenslauten erfüllt war.
Sie erkundigte sich bei einem Sanitäter nach der Ärztin Dr. Braun, und man wies ihr irgendwo im Gewimmel eine Frau im weißen Kittel, blond, das lockige Haar im Nacken zusammengefasst. Trotzdem sie übernächtigt war, wirkte sie sehr hübsch, mit einer sanften, ruhigen Art, die sie trotz aller Hektik behielt, die in dem großen Krankensaal, der hauptsächlich Schwerverletzte beherbergte, herrschte. Magdalena wagte nicht, sie anzusprechen, nur ein heißes Aufbegehren, ein deutliches Gefühl von Eifersucht durchzog ihre Brust. Wie von ihrem musternden Blick magisch angezogen, sah die Ärztin auf. »Suchen Sie jemand Bestimmten?«, fragte sie so freundlich, wie es bei all dem Leid, das hier herrschte, möglich war. Sie zog eine Spritze auf und beugte sich über eine Trage, auf der ein schlanker Mann in grauer Uniform lag, der einen blutigen Kopfverband trug. »Wir haben im Flur Listen ausgehängt. Leider sind sie noch nicht ganz vollständig.«
»Danke, dann werde ich dort mal nachsehen.« Beim Klang ihrer Stimme stöhnte der Verletzte lauter, und als Magdalena in seine aufgerissenen Augen sah, die ein plötzliches Erkennen widerspiegelten, durchfuhr sie ein solcher Schreck, dass ihre Knie zu zittern begannen. Sie wurde bleich und musste sich gegen die Wand lehnen. Der
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