Königsblau - Mord nach jeder Fasson: Preußen Krimi (anno 1740) (German Edition)
Stadtschloss Dienst zu tun und in der eigenen Wohnung zu nächtigen, kam ihm sehr zupaß. Seine Charlottenburger Arbeit hatte ihm bisher nur Stippvisiten in diesem neuen Zuhause gestattet.
Marie allerdings geriet durch diese väterliche Heimsuchung in einige Verlegenheit. Jüngst an diesem Tage nämlich hatte sie – mit des Vaters sicherer Abwesenheit rechnend – Anstalten getroffen, dem Baron von Beeren in der frisch hergerichteten Wohnung zu empfangen.
Bevor sie sich gefasst hatte und eine harmlose Ausrede für ihr prunkvolles Kleid und die im Saalzimmer getroffenen Anstalten überlegen konnte, hatte Zornesröte Langustiers Gesicht entstellt. Aufwallend stellte er sie zur Rede, mit der Hellsichtigkeit eines Eifersüchtigen alles vage erratend und doch unstatthaft überzeichnend. Das arme Mädchen in ihrem nun so deplatziert wirkenden Kleide hörte Töne von ihrem Vater, die sie bislang nie vernommen, und konnte, nachdem sie einige bange Momente wie erstarrt gestanden hatte, nur in bitterliches Weinen ausbrechen. Diese Wendung ließ ihn plötzlich innehalten und den eigenen Worten nachlauschen. Erst das Echo brachte ihm den unhaltbaren Tenor seiner Rede zu Bewußtsein und sein Furor erstarb zum Glück sogleich. Wortlos nahm er nun die Tochter in den Arm und tröstete sie so gut es die Umstände erlaubten.
Sie offenbarte ihm, noch immer schluchzend, ihren Plan, beteuerte jedoch, wie durchaus unschuldig das Ganze sich ausnehmen sollte – dass ein drittes Gedeck für die Witwe Stolzenhagen mit aufliege, woran allein zu sehen, wie sehr sie darauf bedacht gewesen sei, den Gast nur auf die Probe zu stellen und sich keineswegs unterstanden habe, ihn allein zu empfangen etc. pp. – eine Litanei, die jedoch durch das hörbare Nahen der beiden erwarteten Gäste unterbrochen wurde. Noch bevor sich die Tür öffnen konnte, hatte Langustier Marie in ihre Zimmer abgeschoben und ward als überraschender Türöffner zum Schrecken der Ankömmlinge.
Von Beeren hätte am liebsten gleich wieder kehrtgemacht, und die Stolzenhagen wusste nicht, was für ein Gesicht sie aufsetzen sollte. Langustier, der bei sich beschlossen hatte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen – eine Übung, die ihm in dieser Stadt öfters angebracht schien –, überschüttete die Verdutzen mit höfischen Komplimenten. Kunstgerecht entwand er dem Baron einen riesenhaften Strauß von kostbaren Strohblumen und wusste von Beeren gar so geschickt zu halten, dass Marie, mit aufgefrischtem Gesicht, im Saale unbemerkt ein zusätzliches Gedeck auflegen konnte.
Gerne hätte er am Festabend etwas mehr Distanz zwischen den beiden wahrgenommen. Langustier verfluchte seinen Einfall, die Falckenbergsche Stadtwohnung angemietet und die Tochter förmlich unbeschützt vor der Tür des Lasters ausgesetzt zu haben. Obgleich es ihm zunächst als eine Beruhigung erschienen war, dass Marie das Anerbieten der Witwe Stolzenhagen freudig angenommen hatte, in ihrer Delikatesswarenhandlung zu arbeiten, so ließ sich doch zwischen beiden eine wachsende Freundschaft bemerken, von der er noch nicht zu sagen wusste, ob sie zum Heil oder zum Unheil seiner Tochter ausschlagen würde. Das lebenslustige Naturell der schönen Witwe qualifizierte sie schwerlich zum leuchtenden Vorbild für ein unerfahrenes Mädchen vom Land, das sich plötzlich in die Großstadt versetzt sah.
Nach einer unter diesen Umständen zurückhaltenden Begrüßung kam das Gespräch nur schleppend in Fahrt. Man besah indes die von Marie eingerichteten Zimmer und erging sich in aufrichtigem Lob, was die Dekorateurin von Herzen freute.
Am Tische sitzend, sprach man anschließend umso beherzter dem Zitronenkuchen des Herrn Petit zu, den Marie besorgt hatte, wozu ein Gläschen weißer Champagner aus den wohl bestückten Kellergewölben des Stolzenhagenschen Hauses nicht übel harmonierte. Das Getränk half zudem, die Zungen zu lockern, wodurch es insbesondere dem Baron von Beeren nun gelang, Langustier ein etwas vorteilhafteres Bild von sich beizubringen. Die Verstocktheit der beiden männlichen Kontrahenten zu mildern, war indes das Verdienst der Witwe Stolzenhagen, die durch Komplimente nach der einen, Langustierschen, und unschwer zum Vorteile auszumünzende Hilfestellungen nach der anderen, von Beerenschen, Seite fortschreitende Entspannung hervorrief.
Vor allem dem Umstand, dass beide Tischgenossen neuerdings der städtischen Freimaurerloge angehörten, wusste sie eine starke versöhnende Kraft abzugewinnen.
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