Königsfreunde (German Edition)
finden. Clara dachte an die Wegbeschreibung und ging los. Hier war es trocken und kühl. Sie leuchtete vor sich, sah nichts als Steinboden und Steinwände in tristem Grau. Ihre Schritte hallten kaum, sie bewegte sich fast lautlos vorwärts. Nur ihr Herzschlag dröhnte ihr im Ohr. Clara war noch nie ängstlich gewesen, auch nicht im Dunkeln, aber hier, mit den langen dunklen Gängen vor und hinter sich, musste sie gegen die Panik ankämpfen. Was, wenn plötzlich eine bleiche Hand aus der Dunkelheit kam und sie am Arm packte? Clara wusste, sie würde schreien.
Schluss, schalt sie sich. Hier war niemand. Keiner wusste von dem Gang, nicht mal Robin.
Sie ging weiter, so schnell sie konnte, ohne die Orientierung zu verlieren. Vor ihr kam eine Gabelung in Sicht und als sie sie erreichte, wandte Clara sich nach links. Der rechte Gang führte zu einem geheimen Raum, der von innen verschlossen und von außen getarnt war. Darin gab es Vorräte und ein kleines Bad, sowie eine Schlafgelegenheit für fünf Personen. In größter Not konnte sich die Königsfamilie dorthin retten und einige Tage verborgen bleiben, ohne den Raum verlassen zu müssen. Marquard hatte vorgeschlagen, Robin aus seinem Zimmer herauszuführen und sich mit ihm dort in Sicherheit zu bringen für diese Nacht. Die Vorräte waren inzwischen sicher verdorben. Niemand hatte sich mehr um den Raum gekümmert, seit das Königspaar tot war. Aber für einige Stunden würde das Versteck ihnen den nötigen Schutz bieten. Am Morgen konnte er dann Ludwig festnehmen lassen.
Clara ging noch etwa zweihundert Schritte, dann endete der Gang in einer Sackgasse. Sie war am Ziel. Von innen besaß die Geheimtür keinerlei Tarnung und sie sah sofort, wie sie sie öffnen musste. Leise drückte sie dagegen und die Tür schwang leicht auf. Clara streckte den Kopf durch die Öffnung und schaute sich um. Ja! Dies war Robins Zimmer! Vor Erleichterung wurden ihre Knie ganz weich. Sie schlüpfte hinein und lief leichtfüßig zu Robins Bett. Er lag noch da, fast in derselben Haltung, in der sie ihn zurückgelassen hatten. Clara hob die Lampe und leuchtete ihm ins Gesicht. Er atmete flach und schien tief zu schlafen. Sanft drückte sie seinen Arm und schüttelte ihn.
»Robin«, sagte sie leise. »Wach auf!« Sie bewegte ihn, klopfte auf seine Wange, aber Robin regte sich nicht. Man hatte ihm etwas eingegeben. Klarer Fall. Fieberhaft überlegte Clara, was jetzt zu tun war. Ob sie ihn tragen konnte? Zur Not musste sie es versuchen. Wenn sie ihn auf ein Laken legte, konnte sie den Schlafenden vielleicht hinaus und in den Gang ziehen. Dort war er vorerst sicher. Clara stellte die Lampe beiseite und entschied dann, sie zu löschen. Man konnte nicht wissen, ob jemand den Lichtschein durchs Schlüsselloch sah oder was auch immer. Der Mond schien hell genug für ihr Vorhaben. Clara packte eines der Bettlaken und wollte es gerade herausziehen, als sie ein Geräusch hörte. Der Schreck fuhr ihr in die Glieder. Das kam vom Geheimgang! Jemand kam herein! Schnell wich sie zurück und verbarg sich hinter den schweren Vorhängen am Fenster. Schritte näherten sich ihr. Die dunkle Gestalt trat an Robins Bett. Ludwig! Claras Herz raste so laut, dass sie glaubte, er müsse es hören und sie entdecken. Er beugte sich über Robin und musterte ihn. Dann warf er einen Blick zur Tür. Clara dachte nach. Was konnte sie tun? Ludwig war sicher nicht gekommen, um Robin zu sehen. Und er kannte den Geheimgang!
Ludwig nahm ein Kissen von Robins Bett und wog es in der Hand.
»Na, Robin«, flüsterte er, und Clara wunderte sich, dass er den Namen des Königs in den Mund nahm.
»Da bist du doch überraschend an deiner Verletzung gestorben. Damit hat niemand gerechnet«, fuhr Ludwig leise fort. Die Erkenntnis durchzuckte Clara wie ein Blitz. Marquard hatte sich geirrt. Ludwig hatte ein persönliches Motiv, er war nicht nur ein Handlanger, sondern viel mehr. Als gefühlsloser Mörder hätte er den König einfach schnell getötet, aber Ludwig wollte Genugtuung. Er hasste Robin.
Ludwig presste das Kissen auf Robins Gesicht. Clara trat hinter dem Vorhang hervor und nahm eine der schweren Vasen, die als Zierrat herumstanden. Mit zwei Schritten war sie hinter Ludwig und ließ die Vase auf seinen Schädel niedersausen. Sie zersprang mit einem Knall und die Scherben spritzten überall um sie herum auf den Boden. Ludwig schrie und ließ das Kissen fallen. Er taumelte zurück und griff nach Clara. Er erwischte sie am Arm und
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