Kohl, Walter
die
Kaserne mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits war ich froh,
es geschafft zu haben, und andererseits war ich traurig, gehen zu müssen.
Im »Land of the Free«
Die
vorgezogene Bundestagswahl von 1983 wurde zu Helmut Kohls persönlichem Triumph.
Er holte für die CDU fast die absolute Mehrheit und verfügte damit offenkundig
über den Rückhalt weiter Teile der Bevölkerung. Seine zahlreichen Gegner und
Kritiker, auch in der eigenen Partei, verstummten jedoch keineswegs, und die
politischen Auguren rechneten nicht damit, dass der in ihren Augen
vermeintliche »Provinzpolitiker« sich auf Dauer im höchsten Amt des Landes
halten würde. Wie sollte man sich doch irren. Ich hatte eine Vorahnung, denn
ich kannte nicht nur den eisernen Willen meines Vaters, sondern ich war oft zum
Zeugen seiner erstaunlichen Fähigkeit geworden, alles, aber auch wirklich
alles von sich abprallen zu lassen, was ihm im Wege stand. Ein Wahlkampf von
beispielloser Härte lag hinter ihm. Die Brutalität der medialen Angriffe auf
seine Person war zum Teil geradezu niederträchtig gewesen. Doch ihn selbst
schien all dies nicht wirklich zu berühren. Alle damaligen selbsternannten politischen
Genies und Meinungsführer würden ihm auf Dauer nicht das Wasser reichen können.
Nein, dieser Mann würde nicht so leicht und schnell von einem Stuhl zu
verdrängen sein, den er sich nach langem Kampf und wiederholten Anläufen
erkämpft hatte, und damit wurde mir auch sonnenklar: Mit jedem weiteren Jahr
seiner Amtszeit würde mein Weg aus seinem Schatten länger und härter werden.
Die
politische Seite meiner Einschätzung sollte sich als richtig erweisen, die
persönliche Seite, was die Folgen für mich selbst betraf, ebenfalls. Ich litt
weiterhin sehr unter meiner Rolle als »Sohn vom Kohl«, muss heute
ehrlicherweise jedoch sagen, dass ich es mir auch selbst mit zuzuschreiben
hatte. Ich war innerlich wenig gefestigt, ich fühlte mich oft verletzt - aber
ich war ungebrochen! Ich wollte mich unter keinen Umständen damit abfinden, auf
eine Existenz im Schatten eines übermächtigen Vaters reduziert und deformiert
zu werden. Ich wollte meinen eigenen Weg, meinen eigenen Sinn und meine eigenen
Ziele finden. Der Preis für meinen Drang nach Eigenständigkeit war, dass ich
litt. Und meine Suche nach mir selbst hatte gerade erst so richtig begonnen.
Wer eine
wichtige Entscheidung über sein Leben trifft, wer damit eine Weiche stellt, der
sollte sich von seiner Sehnsucht leiten lassen und mit sich selbst im Reinen
sein. Doch selbst wenn wir unsere innersten Wünsche und Sehnsüchte kennen,
bleibt immer noch die Frage, ob wir im entscheidenden Moment den Mut und das
Durchsetzungsvermögen uns selbst und anderen gegenüber besitzen, um unsere
Entscheidung mit Augenmaß und Weisheit zu treffen.
Ich bin
eine eigenständige, wertvolle Person. Ich bin ein Mensch, der nicht
nur einfach da ist, quasi als Laune des Schicksals, sondern ich selbst
bin es, der im Mittelpunkt meines Lebens steht - und das ist nicht als
Selbstverherrlichung gemeint, sondern als innere Verpflichtung.
So lautete
mein Wunsch, mein Anspruch an mich selbst. Doch es gab einen wunden Punkt in meinem
Innenleben, einen Hebelpunkt, von dem her starke Kräfte wirkten. Ich war jetzt
21 Jahre alt, ich fühlte diesen »Punkt« mit überaus feinen Antennen, mit einer
fast physischen Empfindsamkeit dafür, wenn dort ein bestimmtes Ereignis oder
auch nur meine Erwartung, es könnte ein bestimmtes Ereignis eintreten, wirkte.
Immer ging es darum, dass ich nicht Walter sein durfte, sondern in das Korsett
»Sohn vom Kohl« gesteckt wurde. Dann fühlte ich mich in meiner Autonomie - ob
wirklich oder eingebildet - bedroht. Die ständige Fühlbarkeit meines wunden
Punktes, die Tatsache, dass dieser Knopf jederzeit gedrückt werden konnte,
machte mich misstrauisch und defensiv. So begab ich mich in die Abhängigkeit
von Angeboten zur Lebensgestaltung, ich gestaltete mein Leben nicht selbst.
Mich selbst in den Mittelpunkt meines Lebens zu rücken und dafür die volle
Verantwortung zu übernehmen, das vermochte ich damals noch nicht.
Von
Kindesbeinen an war Amerika das Ziel meiner Träume gewesen. Amerika, das »Land
der Freiheit«, das »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«, erfüllte mich als
Kind, dessen freie Entfaltung beschnitten wurde, mit einer naiven Begeisterung.
Alles, was ich darüber zu lesen in die Hand bekam, wurde nur so verschlungen.
Wenn es darum ging, die bei uns
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