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Kolibri

Kolibri

Titel: Kolibri Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Wort: Langsam ging ihm dieser ganze Scheiß hier auf die Nerven.
    â€žDeine Kopfhaltung, die Art, wie du den kleinen Finger deiner rechten Hand abspreizt.“
    â€žDu kennst meine Mutter doch gar nicht.“
    Maria lachte freudlos auf. „Und ob ich deine Mutter kenne“, sagte sie und griff nach der Digicam. „Ich hatte die große Ehre und das noch größere Vergnügen, an einem der seltenen Mittagessen, bei denen deine gesamte Familie anwesend war, teilzunehmen. Irre ich mich, oder ist deine Mutter wieder unterwegs?“
    â€žDu irrst dich nicht. Sie ist in Afrika und arbeitet an einem Bewässerungsprojekt für eine Schule mit.“
    â€žTja, ihr waren andere Kinder immer schon wichtiger als ihr eigenes.“
    Karl, der wusste, dass Maria Recht hatte, verspürte einen Stich in der Brust und biss sich auf die Lippen.
    â€žKannst du dich an das Essen noch erinnern?“
    Karl, der sich nur zu gut an dieses Essen erinnern konnte, verneinte. Seine Mutter war damals gerade aus Simbabwe zurückgekehrt. Während der gesamten Mahlzeit hatte sie Fotos von unterernährten Kindern herumgezeigt und gefragt, welches davon sich am besten für eine Spendenkampagne eigne. Sein Vater hatte, durch schmerzhafte Erfahrungen weiser geworden, den Mund gehalten, Maria hatte gesagt, das sei widerlich, diese verhungernden Kinder zu Mitleidsobjekten zu degradieren. Das sei genauso eine Ausbeutung wie der Diebstahl von Rohstoffen aus diesen Ländern, nur auf einer anderen Ebene. Sie und seine Mutter hatten den ganzen Nachmittag gestritten. Karl hatte sich herausgehalten. Es war sinnlos.Aus den armen Negerkindern waren im Laufe der Zeit Schwarzafrikaner geworden, aber arm waren sie gewesen, arm würden sie bleiben, arm und hilfsbedürftig, zumindest in den Augen seiner Mutter.
    Ehe Maria nachhaken konnte, deutete Karl auf ihre kleine, schicke Kamera und sagte: „Was willst du damit?“
    â€žIch werde dich interviewen“, sagte Maria.
    â€žWozu denn?“
    â€žDie Geschichte des Bombenlegers, exklusiv von Maria Eichinger, VC-TV.“
    Seufzend stemmte sich Karl aus seinem Sessel und ging die paar Meter zur Terrassentür. Während er die Lamellen auseinander drückte und nach unten, zu dem von Polizisten und Journalisten bevölkerten Platz schaute, dachte er an Patrick Berger, der ihn in diese Situation gebracht hatte, und er spürte, wie kalte Wut sich in ihm ausbreitete. Nach einem kurzen Blick auf die zwei gemieteten Lkw, die im Expeditbereich standen, wandte er sich an Maria und sagte: „Ich muss dich enttäuschen. Es gibt keine Bombe.“
    â€žNicht?“

ZWEIUNDZWANZIG
    Seit seine Handarbeitslehrerin in der Volksschule ihm mit einem Lineal kräftig auf die Finger geschlagen hatte, weil diese dreckig gewesen waren, achtete Patrick Berger immer auf penibel gepflegte Hände. Genau diese Hände hielt er sich nun vors Gesicht, versuchte, den Lärm, der ihn im Gemeinderatssitzungssaal umbrandete, zu ignorieren und einen klaren Gedanken zu fassen.
    Eine Passage aus einem Buch, das er vor Jahren, als er noch Zeit für so etwas gehabt hatte, gelesen hatte, kam ihm plötzlich in den Sinn. Das Buch, der Titel fiel ihm nicht mehr ein, stammte von einemamerikanischen Autor, der an AIDS gestorben war, und in einer der Geschichten hatte dieser Autor, sinngemäß, geschrieben, wenn man einmal den vorgegebenen Weg verlässt, muss man sein Leben lang Erfolg haben, denn fällt man nur einziges Mal auf die Schnauze, sind all diejenigen zur Stelle, die immer schon gewusst haben, dass man scheitern wird. Er versuchte, sich zu erinnern, wann er das letzte Mal ein Buch gelesen oder auch nur den Wunsch danach verspürt hatte; es fiel ihm nicht ein. Er konnte sich nur an Arbeit erinnern, an einen langen, breiten, niemals abreißenden Strom von Aufgaben, die er zu bewältigen hatte, Tag um Tag, meistens auch Nacht um Nacht. Es hatte Phasen gegeben, in denen er so viel gearbeitet hatte, dass er sich nicht einmal an das Wetter der vorangegangenen Tage erinnern konnte. Und wenn diese Sache jetzt schiefging, war er erledigt, und zwar für immer, da hatte der Bürgermeister Recht. Dann würde er, Patrick Berger, nur noch herumsitzen, wie seine Eltern, mit diesem leeren Blick der lebenden Toten, und all die Leute, mit denen er früher verkehrt hatte und die auf seinem Weg nach oben nach und nach verschwunden waren (oder hatte er sie beiseite

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