Kollaps
hinauf und hinunter, um die Arbeiten an zwei Stellen zu koordinieren. Er hatte erfahren, dass ich ein Buch über die Sexualität des Menschen geschrieben hatte, und 15 Minuten nachdem wir uns kennen gelernt hatten, brach er in Gelächter aus und sagte, ich solle ihm nun nichts mehr über Vögel erzählen, sondern ihm erklären, was ich über Sex wusste.
Wir trafen einander mehrmals bei den Arbeiten an unterschiedlichen Projekten, aber dann vergingen zwei Jahre, bevor ich wieder in sein Land kam. Als ich das nächste Mal mit Aloysius zusammentraf, hatte sich ganz offensichtlich irgendetwas verändert. Beim Reden war er nervös, und sein unsteter Blick erweckte den Eindruck, als habe er vor irgendetwas Angst. Das überraschte mich, denn der Ort unseres Gesprächs war ein Saal in der Hauptstadt seines Landes, wo ich in Gegenwart mehrerer Kabinettmitglieder einen öffentlichen Vortrag hielt, und ich konnte keinerlei Gefahrenzeichen entdecken. Nachdem wir Erinnerungen über die Meuterei, unsere Lager im Gebirge und Sexualität ausgetauscht hatten, fragte ich ihn, wie es ihm seitdem ergangen war. Nun erfuhr ich seine Geschichte:
Aloysius hatte mittlerweile eine neue Stelle. Er arbeitete jetzt bei einer nichtstaatlichen Organisation, die sich Sorgen um die Zerstörung der tropischen Wälder machte. Im tropischen Südostasien und auf den Pazifikinseln wird die industrielle Holzgewinnung vorwiegend von internationalen Konzernen betrieben, deren Tochterfirmen in vielen Staaten beheimatet sind; die Konzernzentralen liegen aber vor allem in Malaysia sowie in Taiwan und Südkorea. Sie pachten die Abholzungsrechte auf Flächen, die sich im Eigentum der lokalen Bewohner befinden, exportieren die unbearbeiteten Baumstämme und nehmen keine neue Anpflanzungen vor. Einen großen Teil seines Wertes gewinnt ein Baumstamm erst dadurch, dass er nach dem Fällen zersägt und weiterverarbeitet wird: Das heißt, das fertige Holz erzielt einen weit höheren Preis als der Baumstamm, aus dem es hergestellt wurde. Durch den Export unbearbeiteter Baumstämme wird der lokalen Bevölkerung und dem betreffenden Staat also ein großer Teil des potenziellen Wertes ihrer Ressourcen entzogen. Die erforderlichen staatlichen Genehmigungen verschaffen sich die Konzerne häufig durch Bestechung von Beamten, und dann gehen sie sowohl beim Straßenbau als auch bei der Holzgewinnung über die Grenzen des Gebietes hinaus, das sie tatsächlich gepachtet haben. Oder aber die Konzerne schicken einfach nur ein Schiff, handeln mit der lokalen Bevölkerung schnell eine Genehmigung aus, holzen die Bäume ab und ersparen sich die staatliche Lizenz völlig. In Indonesien stammen beispielsweise 70 Prozent des gefällten Holzes aus illegaler Abholzung, durch die dem indonesischen Staat jährlich rund 700 Millionen Euro an Steuereinnahmen, Gebühren und Pachtzahlungen entgehen. An Ort und Stelle verschafft man sich die Genehmigung, indem man Dorfobere beschwatzt, die in manchen Fällen die Kompetenz besitzen, Abholzungsrechte zu vergeben, in anderen jedoch nicht; diese Personen werden in die Hauptstadt oder nach Hongkong gebracht, wo man sie mit Luxushotels, teurem Essen, Getränken und Prostituierten verwöhnt, bis sie unterschreiben. Das hört sich nach einem teuren Geschäftsmodell an, aber man muss sich klarmachen, dass ein einziger großer Baum aus dem Regenwald viele tausend Euro wert ist. Die Zustimmung der einfachen Leute aus den Dörfern erkauft man sich mit Geldbeträgen, die ihnen gewaltig erscheinen, in Wirklichkeit aber innerhalb eines Jahres für Lebensmittel und andere Konsumgüter aufgebraucht sind. Außerdem macht das Unternehmen den Bewohnern auch Versprechungen - beispielsweise Wiederaufforstung oder den Bau von Krankenhäusern - die später nicht eingehalten werden. Aus Indonesisch-Borneo, von den Salomonen und anderen Orten wurde über Fälle berichtet, in denen Holzkonzerne mit einer Lizenz der Zentralregierung in die Wälder kamen und mit dem Abholzen begannen; als die Bewohner der Gegend erkannten, dass sie damit ein schlechtes Geschäft machten, versuchten sie, die Arbeiten mit Straßenblockaden oder Brandstiftung in Sägewerken zu verhindern, woraufhin das Holzunternehmen seine Rechte mit Hilfe von Polizei und Armee durchsetzte. Wie ich gehört habe, schüchtern die Holzkonzerne ihre Gegner sogar mit Morddrohungen ein.
Ein solcher Gegner war Aloysius. Die Unternehmen drohten tatsächlich, ihn zu ermorden, aber er blieb hartnäckig, weil er
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