Komm mit mir nach Kreta
Überraschung. Aber sie wollte die Gelegenheit für ein Gespräch nicht ungenutzt verstreichen lassen.
„Ich kann dir den Weg zeigen. Ich bin schon bei ihm gewesen.“
Natürlich. Sie hatte vergessen, dass Petros Liakos auch der Großvater von Costas’ verstorbener Frau war. Bestimmt nahm er solche familiären Verpflichtungen sehr ernst, auch noch nach Fotinis Tod.
„Ja, danke.“ Sophie verschwieg, wie nervös sie bei dem Gedanke daran wurde, den alten Liakos zu treffen. Während sie neben Costas den Flur entlangging, musterte sie ihn verstohlen. So reserviert, so unergründlich. Sein markantes Profil und sein aufrechter Körper drückten Stärke aus. Eine andere Stärke als die ihres Großvaters, davon war Sophie überzeugt. Costas musste sich nicht beweisen, indem er Menschen manipulierte, die schwächer waren als er selbst. Er war ein Mann, der es sich gestattete, zärtlich zu denen zu sein, denen er sich nahe fühlte. Sophie hatte gesehen, wie fürsorglich und liebevoll er sein konnte, wenn er mit seiner Tochter oder seiner Mutter zusammen war.
Einen schmerzlichen Moment lang wünschte sie sich, er würde ihr gegenüber auch so sein.
Aber das würde niemals passieren.
Sie fuhren mit dem Aufzug in ein anderes Stockwerk, gingen einen weiteren langen Krankenhausflur entlang, bogen um eine Ecke und blieben vor dem Schwesternzimmer der Station stehen. Dem Gespräch zwischen der Schwester und Costas hörte Sophie nur halb zu. Sie versuchte, wieder zu sich selbst zu kommen. Sie würde dem alten Mann nicht mit Ruhe gegenübertreten können, wenn ihre Gedanken ständig um Costas kreisten. Sie brauchte einen klaren Kopf und alles an Selbstbewusstsein, was sie aufbringen konnte, um ihrem Großvater zu zeigen, dass Christinas Tochter eine Frau war, mit der man rechnen musste, die man nicht als unwürdig abtun konnte. Das schuldete sie ihrer Mutter.
„Sophie? Eigentlich soll jeweils nur ein Besucher zu ihm, aber ich gehe mit dir hinein.“
„Nein! Das ist schon in Ordnung. Ich würde lieber al lein mit ihm reden.“ Sie konnte unmöglich gleichzeitig mit Petros Liakos und Costas umgehen. Außerdem war dieses Treffen viel zu privat, als dass ein anderer dabei sein durfte.
„Mit mir wird es einfacher sein“, beharrte Costas. „Der Schlaganfall hat sein Sprachvermögen beeinträchtigt.“
„Du vergisst, dass ich Sprachtherapeutin bin. Und wenn er langsam spricht, werde ich einfache griechische Sätze verstehen.“
„Musst du nicht. Dein Großvater spricht Englisch.“
„Er wird Sie jetzt empfangen“, sagte eine Pflegerin, die aus dem Raum gegenüber dem Schwesternzimmer kam. Ihr Blick war auf Costas gerichtet. Sie nahm Sophie nicht einmal wahr.
„Danke.“ Sophie ging auf das Zimmer zu.
„Sophie …“
„Wir sehen uns später.“ Schnell ging sie hinein und schloss die Tür hinter sich.
Hier war es ganz anders als in Elenis freundlichem hellem Krankenzimmer. Süßlicher Blumenduft stieg Sophie in die Nase, und eine bedrückende Stille empfing sie. Sie fühlte sich an das Sterbebett ihrer Mutter erinnert, und Sophie wurde so schwindlig, dass sie sich an der Tür abstützen musste. Einen Moment lang blieb sie stehen, bis die Gedanken daran verblassten. Diese Suite hatte wenig Ähnlichkeit mit dem spartanischen Raum ihrer Mutter. Die Patersons hatten sich Luxus nicht leisten können.
Dennoch blieb es ein Krankenzimmer. Der Sauerstoffbehälter, der Tropf, die Monitore neben dem Bett – das alles war Sophie vertraut. Trotz seines Reichtums war Petros Liakos gegen seine Krankheit ebenso machtlos, wie ihre Mutter es gewesen war.
Ein Vorhang verbarg das Kopfende des Betts. Schlief er? Es war nichts zu hören, keine Bewegung, kein Rascheln der Laken. Aber die Schwester hatte gesagt, er würde sie empfangen. Also musste er dort liegen und auf sie warten.
Sophie ballte ihre Hände. Wenn Petros Liakos es ertragen konnte, ihr in die Augen zu sehen, würde sie es ihm nicht verweigern. Lächerlich, so nervös zu sein. Sie musste sich für nichts schämen!
Langsam trat sie auf das Bett zu, und da lag er, der Vater ihrer Mutter, das Oberhaupt der Familie Liakos. Unter buschigen Augenbrauen blickte er sie finster an. Sophie spürte sofort den starken Willen, der von ihm ausging. Er hatte eine große Adlernase, genauso, wie man es bei einem griechischen Patriarchen erwartete.
Dem Himmel sei Dank, dass ich diese Nase nicht geerbt habe, dachte Sophie hysterisch.
Unbeholfen und ruckartig bewegte er seine
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