Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
spielen.«
»Viele Menschen hatten eine beschissene Kindheit. Aber die werden nicht zu Mördern.«
Er ignorierte sie mit heiterem Lächeln. »Ich würde Geld drauf verwetten, dass er Einzelkind ist, oder das jüngste Kind, sehr viel jünger als das nächstältere. Und ich schätze, dass er in der Schule ein ziemlicher Hänfling war und von allen gehänselt wurde. Aber das bekommst du alles noch mal genau aufgedröselt, wenn ich meinen Bericht abgeschlossen habe.«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und kippelte mit dem Stuhl, bis sie mit der Rückenlehne an die Wand kam. »Es ist mir völlig egal, was in seiner Kindheit los war. Für mich zählt nur, dass er bösartig ist.«
Er zuckte mit den Schultern. »Mag sein. Wie auch immer, simple Tatsache ist: Er ist zornig. Sein ganzes Leben lang hat man ihm das Gefühl gegeben, unfähig zu sein, und, wie ich schon sagte, ich bin ziemlich sicher, dass er impotent ist. Das macht den Zorn und die Brutalität, die in ihm brodeln, nur noch schlimmer. Durch das Morden gewinnt er Macht zurück. Darum geht es, um Kontrolle. Du magst denken, seine Vorgeschichte sei nur von akademischem Interesse für Leute wie mich, aber fest steht, er nimmt dich nur deshalb ins Visier, weil du eine Frau bist. Würde ein Mann die Ermittlungen leiten, wäre das nicht passiert, da bin ich mir ganz sicher. Ob es dir gefällt oder nicht, du wirst dich in naher Zukunft womöglich mit ihm auseinandersetzen müssen. Da schadet es nicht, wenn du über seine Psyche Bescheid weißt.«
Fassungslos sah sie ihn an. »Mit ihm auseinandersetzen? Wie meinst du das?«
Er wirkte überrascht. »Er wird sich wieder mit dir in Verbindung setzen, das ist doch klar. Vielleicht wird er auch versuchen, eine Antwort von dir zu bekommen.« Vielleicht spürte er ihr Entsetzen, jedenfalls fügte er hinzu: »Ich würde mir da keine Sorgen machen. Ich glaube nicht, dass er dich tatsächlich von Angesicht zu Angesicht sehen will. Das ist nur eine seiner Fantasien, es gehört zum Spiel, er macht sich vor, dass er eine Beziehung zu dir aufbauen kann, wenn er das will.«
»Verdammt kranke Fantasie«, sagte sie, als der Kellner die Teller abräumte und ihnen Dessertkarten hinlegte.
Kennedy warf einen flüchtigen Blick in seine und klatschte sie auf den Tisch. »Ich nehme Panna cotta. Und du?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts, danke. Ich hab‘keinen Hunger.«
Er nahm die Brille ab und schob sie in die Brusttasche. Es verging ein Moment, bevor er sagte: »Du wirst deinen Leuten von der E-Mail erzählen, oder?«
»Nur Mark und Gary. Ich finde nicht, dass alle Bescheid wissen müssen.«
»Warum nicht? Die Mail ist ein wichtiges Stück im Puzzle.«
»Und wenn die Medien Wind davon bekommen?«
»Das Risiko würde ich eingehen. Am besten erzählst du alles gleich morgen früh bei der Dienstbesprechung, und ich komme dazu und gebe den Leuten ein Update zum Profil.« Er spürte ihr Zögern und fügte hinzu: »Es ist dir peinlich, was er dir geschrieben hat, stimmt’s? Du empfindest die persönlichen Stellen als Affront.«
»Und ob ich das tue«, sagte sie bitter und war plötzlich erleichtert, dass Kennedy sie anscheinend doch verstand.
»Aber es geht gar nicht um dich, es geht um ihn. Denk dich in ihn hinein. Indem er dich wie die anderen behandelt, macht er das Ganze im Grunde unpersönlich.«
»Das hört sich für mich aber anders an.«
»Ich verstehe ja, wie du dich fühlst, aber...«
»Erspar mir den Psychologenquatsch, Patrick. Du hast keine Ahnung, wie ich mich fühle.«
Er nickte verständnisvoll, als hätte er es mit einem störrischen Kind zu tun, was sie nur noch wütender machte. »Natürlich bist du aufgebracht...«, sagte er mit besorgter Miene.
»Aufgebracht? Natürlich bin ich aufgebracht, verdammt. Aber für dich ist das alles nur ein Job, stimmt’s?«
Plötzlich war ihr heiß. Sie sprang auf und wollte auf die Toilette stürmen, wollte seinem Blick entkommen und sich Wasser ins Gesicht spritzen. Aber er hielt sie an der Hand fest und zwang sie zurück auf den Stuhl.
»Bitte hör mir zu, Carolyn. Natürlich ist das für mich ein faszinierender Fall. Ich müsste lügen, würde ich etwas anderes sagen. Aber ich habe ihn nur übernommen, weil du mich darum gebeten hast. Ich bin nicht du, ich weiß nicht genau, was du fühlst, aber ich kann es mir vorstellen. Stinkwütend, würde ich denken. Auf hundertachtzig. Und du kommst dir verletzlich vor, habe ich Recht? Kein angenehmes Gefühl für
Weitere Kostenlose Bücher