Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
noch schlimmer!«
Dallie sprach ganz ruhig mit ihr. »Du ziehst dich an und wartest im Flur, Holly Grace. Ich und Billy müssen uns mal ein bißchen unterhalten.«
»Nein … bitte …«
»Los, mach schon!«
Sie rührte sich nicht von der Stelle. Obwohl Dallie sich nichts Schöneres denken konnte, als ihr Gesicht zu bewundern, zwang er sich, Billy anzusehen. Billy war ihm an Gewicht überlegen, aber fett und schwabbelig, wie er war, könnte Dallie ihn mit Leichtigkeit fertigmachen.
Das wußte Billy offenbar auch, denn seine kleinen Schweinsäuglein waren angsterfüllt. Er versuchte sich aufzurappeln und seinen Reißverschluß hochzuziehen. »Schmeiß
ihn raus, Holly Grace«, japste er. »Schmeiß ihn sofort raus, oder du mußt dafür büßen!«
Holly Grace zerrte Dallie so heftig auf die Tür zu, daß er fast stolperte. »Geh weg, Dallie«, flehte sie. »Bitte geh weg!«
Sie war barfuß, die Bluse war aufgeknöpft. Als er sich aus ihrem Klammergriff befreite, fiel sein Blick auf einen Bluterguß auf ihrem Brustansatz. Er fühlte sich in seine Kindheit zurückversetzt, die alte Angst kam über ihn. Er schob ihre Bluse zur Seite und fluchte, als er die Ansammlung von blauen Flecken sah, einige waren älter, manche ganz frisch.
Plötzlich schlug sie sich die Bluse zu und funkelte ihn böse an, als ob er in ihrem Tagebuch gelesen hätte.
Kaum hörbar flüsterte Dallie: »Hat er dir das angetan?«
Ihre Nasenlöcher bebten. »Ich bin gefallen.« Sie leckte sich die Lippen und schoß ihrem Onkel einen Blick zu. »Ich und er … wir beide … es ist okay!«
Plötzlich schien sie es nicht mehr ertragen zu können, er fühlte mit ihr. Er trat auf Billy zu, der sich immer noch den Bauch hielt. »Womit hast du ihr gedroht, falls sie es weitersagt?« fragte er.
»Das geht dich einen Scheißdreck an!« knurrte Billy und versuchte, durch die Tür zu entwischen.
Dallie versperrte ihm den Weg. »Holly Grace, womit hat er dir gedroht?«
»Mit nichts«, antwortete sie mit erstorbener Stimme.
»Wenn du auch nur einen Ton sagst, hetz’ ich dir den Sheriff auf den Hals«, krächzte Billy. »Ich sag, daß du hier einbrechen wolltest. Die ganze Stadt weiß, daß du ein Punk bist. Dann steht Aussage gegen Aussage.«
»Ach, tatsächlich?« Ohne Vorwarnung hob Dallie eine Kiste mit der Aufschrift »Vorsicht – zerbrechlich!« hoch und schmetterte sie mit aller Kraft an die Wand hinter Billys Kopf. Das Klirren erschütterte den Lagerraum. Holly Grace rang nach Luft, Billy stieß Verwünschungen aus.
»Was hat er zu dir gesagt, Holly Grace?« fragte Dallie noch einmal.
»Ich weiß nicht … nichts.«
Die nächste Kiste zerschellte an der Wand. Billy schrie vor Zorn, traute sich aber nicht, Dallie in den Arm zu fallen. »Hör auf!« kreischte er. »Sofort aufhören!« Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, seine Stimme war ganz schrill vor ohnmächtiger Wut. »Hör auf, hörst du wohl!«
Dallie hätte den schwabbeligen Billy am liebsten zu Brei geschlagen, aber irgend etwas hielt ihn davon ab. Er spürte, Holly Grace war am besten zu helfen, wenn das Schweigen gebrochen wurde, mit dem Billy sie in Schach hielt.
Er hob die dritte Kiste hoch und bewegte sie spielerisch hin und her. »Ich habe noch die ganze Nacht, Billy, und du hast noch den ganzen Laden.« Er schleuderte die Kiste an die Wand. Ein Dutzend Flaschen zerbrachen klirrend, ein beißender Geruch von Franzbranntwein erfüllte den Raum.
Holly Graces Nerven waren zu lange angespannt, sie hielt es nicht länger aus. »Dallie! Hör auf! Ich sag’s dir, aber du mußt versprechen, daß du dann gehst!«
»Versprochen«, log er.
»Es ist … wegen meiner Mutter. Er will meine Mutter wegschicken, wenn ich was verrate. Und das macht er auch. Du kennst ihn nicht.«
Dallie hatte Winona Cohagan ein paarmal in der Stadt gesehen. Sie erinnerte ihn an Blanche DuBois, eine Figur aus einem Stück, das Miss Sybil ihm im Sommer als Lektüre empfohlen hatte. Winona war fahrig, eine verblaßte Schönheit, ließ Gegenstände fallen, vergaß Namen und benahm sich wie eine Verrückte. Sie war die Schwester von Billys kranker Frau. Sie kümmerte sich um Mrs. Denton, wenn Billy im Laden war.
Holly Grace ließ jetzt alles heraussprudeln. Der Damm war gebrochen. »Billy sagt, meine Mutter wär’ nicht richtig im Kopf, aber das ist gelogen. Sie ist nur ein bißchen verwirrt.
Aber er sagt, er steckt sie ins Irrenhaus, wenn ich nicht tu’, was er will. Und wer da ist, kommt nie
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