Komm wieder zurück: Roman
wahrnehmen, die grauen Wände und den Mief. Wer hätte gedacht, dass einmal ein Tag kommen würde, an dem Calder hinter Gittern und sein Besucher ein piekfeiner Pinckney wäre? Er empfindet dieselbe Mischung aus Scham und Dankbarkeit wie vor vierundzwanzig Jahren, als ihn Joshua auf der vorderen Veranda um Verzeihung bat.
»Wir müssen reden«, sagt Joshua und starrt, als sei alles Übrige in seinen Augen zu lesen.
Calder bemerkt zum ersten Mal, dass sich Joshuas Akzent verändert hat. »Wo wohnst du denn jetzt? Du hörst dich nicht mehr wie ein Pinckney an.«
»Ich nehme das als Kompliment.«
»Tu dir keinen Zwang an.«
»Ich war überall, aber im Moment bin ich wieder hier.«
»Überall? Wo denn zum Beispiel?«
»Zuletzt an der Westküste, in Seattle.«
»Wie ich höre, regnet es da wie verrückt.«
»Im Winter schon«, sagt er etwas abwehrend, obwohl Calder kein Grund einfällt, warum er das sein sollte. »Ich weiß nicht, ob dir das bekannt ist, aber im Moment schneit es draußen. Hier im Sonnenstaat. Der Schnee liegt mehrere Zentimeter hoch.«
Calder weiß es. Er hat es durch das Fensterchen in seiner Zelle gesehen und gehört, wie die Wärter darüber sprachen, wie ihre Trucks den Weg zur Arbeit schafften. »Fröhliche Weihnachten«, sagt Calder. »Wer hätte das gedacht?«
Joshua lächelt nicht. »Wie gesagt, ich muss mit dir über Gabe reden.«
»Schieß los.«
»Er hat eine große Klappe.«
»Ich weiß, dass du nicht gekommen bist, um mir was zu sagen, das mir schon bekannt ist.«
»Warum hast du ihm jemals einen Job gegeben, Calder?«
»Er hat mir leidgetan. Ich habe dir eine zweite Chance gegeben. Da dachte ich, ihm könnte ich auch eine geben.«
»Er ist nicht wie ich.«
»Bist du verheiratet?«
»Was? Nein. Ich war es. Hat nur ein Jahr gehalten. Warum?«
»Ich halte nur das Gespräch in Gang. Egal. Muss ich es dir aus der Nase ziehen, oder erzählst du mir freiwillig, was du mir sagen wolltest?«
»Gabe wollte mich decken, Calder. Darum hat er übertrieben, was du ihm über Magnus erzählt hast.«
»Wieso denn dich decken?«
Joshua klappt den Mund zu. Die Kiefer mahlen. »Ich weiß nicht, ob ich es ausgerechnet hier sagen sollte und gerade jetzt. Ich muss mich mit deiner Anwältin treffen. Fakt ist, ich muss mir auch einen Anwalt suchen.«
Calder spürt, wie ihn etwas Rätselhaftes niederdrückt. Es ist wieder der Schlamm auf Annies Hand. Er begreift nicht, was gespielt wird; er weiß nur tief drinnen, dass es schlimm ist. Wirklich sehr, sehr schlimm. »Was hast du getan?«
»Gar nichts hab ich getan«, flüstert Joshua. »Aber ich garantiere dir, dass du dich nicht sehr viel besser fühlst, wenn ich dir sage, wer es war.«
SECHSUNDZWANZIG
Es war später Frühling. Blutblumen blühten an der Südseite des Hauses, wo Annie jedes Wochenende wartete, um den ersten Blick auf Joshuas kleines rotes Auto zu erhaschen, wenn es in einer Staubwolke den Lakeview Drive heruntergerast kam ohne Einhaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung. Die Vorstellung, dass er im Herbst eine Privatschule in Tallahassee besuchen würde, belastete jede Träne, jedes Lachen, jeden hungrigen, gierigen Kuss. Das wäre dann zu weit weg für Wochenendbesuche. Ihnen blieben allenfalls die Feiertage – Thanksgiving, Weihnachten und Ostern, wenn er zu seiner Tante in Tampa nach Hause kam. Insgesamt dreimal in einem ganzen Schuljahr.
Annie bat ihn nie, nicht zu gehen, so sehr sie sich auch wünschte, dass er bliebe. Sie wusste sehr wohl, dass diese Schule die beste Chance für ihn bedeutete, sich ein eigenes Leben aufzubauen. Für den Collegebesuch würde es eine enorm wichtige Rolle spielen, da seine frühere Schulbildung auf dem Papier einen schlechteren Eindruck machte als gar keine. Aufs College zu kommen, lag ihm so sehr am Herzen wie ihr die Musik.
Die Wälder waren jetzt voller Mücken, die auf der Haut Pusteln so groß wie Trauben hinterließen, daher tauschten sie die Wälder gegen lange Ausfahrten im klimatisierten Wagen. Wenn es wenigVerkehr gab, parkten sie auf kleinen Zufahrtsstraßen zum Highway 217, fummelten unbeholfen und hektisch und küssten sich, bis ihre Lippen rot und wund waren.
Einmal fuhren sie zur Disney World und konnten nicht aufhören, sich zu küssen, obwohl es nur so von Familien wimmelte und überall kostümierte Figuren herumsprangen. Sie machten sich über Menschen lustig, die Schlange standen, obwohl sie selbst auch ein paar Mal anstanden, drinnen, wo es kühl und dunkel war
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