Kommissar Morry - Der Judas von Sodom
Gurgeln des Stromes klang laut zu ihr herauf. Leise murmelten die wirbelnden Strudel. Feucht und kalt strich der Nebel über ihr Gesicht hin. In diesem Moment mußte sie an Kate Hugard und Stephanie Malet denken. Sie waren an der gleichen Stelle gestanden. Sie hatten ihrem Freund genauso vertraut wie sie. Auch sie hatten sich vielleicht glücklich und mit heißer Leidenschaft umarmen lassen, bevor das Ende kam. Das brutale und scheckliche Ende. Liz Etty spürte, wie sich alles in ihr aufbäumte. Sie stemmte sich mit beiden Händen von Thom Harban ab. Wild und hastig versuchte sie sich aus seiner Umarmung zu lösen. Sie war auf einmal so verstört, daß sie um Hilfe schreien wollte. Aber sie brauchte es nicht zu tun. Eine Polizeistreife kam aus dem Hinterausgang der Austern Bar. Die beiden Konstabler hielten direkt auf sie zu. Eine Lampe flammte auf. Matt tastete sich ihr Lichtstrahl durch den Dunst. Der helle Schein kam näher. Er tanzte unruhig auf und ab. Thom Harban hatte sich rasch von Liz Etty gelöst. Er zog sie ungeduldig mit sich fort.
„Wir wollen weitergehen“, sagte er nur. Sonst nichts.
8
Wieder einmal war die Vorstellung in der Austern Bar am Sodom Wall zu Ende. Es war kurz vor elf Uhr. Doris Kent, die man zusammen mit Angela Sirion als Ersatzgirl verpflichtet hatte, verließ allein die Garderobe. Sie fühlte sich noch etwas fremd unter ihren Kolleginnen. Sie hatte noch keine Freundin gefunden. Mit gesenkten Blicken ging sie ihren Weg. Sie hob noch nicht einmal das hübsche Gesicht, als sie auf die Straße trat. Erst als sie jemand anrief, schaute sie auf. Burt Lukin stand vor ihr. Schlank, hochgewachsen und in elegantem Herbstmantel tauchte er aus dem Zwielicht der nächtlichen Straße. Sein dunkles Gesicht blieb im Schatten der Hutkrempe.
„Darf ich mich auch jetzt noch etwas um dich kümmern?“ fragte er mit lauem Lächeln. „Ich glaube, es ist nötig. Du siehst recht unglücklich aus.“
Doris Kent freute sich wirklich über die unverhoffte Begegnung mit Burt Lukin. Sie wußte es nicht, daß er sich noch vor wenigen Tagen James Hatfield genannt hatte. Sie wußte auch nicht, daß er ein Mörder war. Im Gegenteil, sie mußte zugeben, daß ihr Burt Lukin oft geholfen hatte. Sie war manchmal mit ihm im Mulatten Klub zusammengetroffen und er hatte ihr kleine Geschäfte vermittelt. Das waf1 in den letzten Jahren gewesen, als sie arbeitslos auf der Straße gelegen hatte. Er war es auch gewesen, der ihr das Engagement in der Austern Bar vermittelt hatte.
„Wie gefällt es dir unter den Mädchen?“ fragte er lauernd. „Bist du zufrieden mit dem neuen Job?“
Doris Kent nickte. „Ich muß mich erst eingewöhnen“, sagte sie. „Am Anfang fühlt man sich immer etwas fremd.“
Sie ging neben ihm her. Er führte sie auf die andere Straßenseite. „Ich habe meinen Wagen dabei“, sagte er. „Darf ich dich heimbringen?“
„Ich bin dir sogar dankbar, wenn du das tust“, sagte Doris Kent mit erleichtertem Lächeln. „Ich wohne noch immer in der alten Bude in Mile End. Es ist sehr weit dorthin.“
Burt Lukin öffnete den Schlag des eleganten Autos vor ihr. Er setzte sich neben sie. Seine nervigen Hände umfaßten das Steuer. „Das Zimmer in Mile End mußt du aufgeben“, erklärte er sachlich. „Es war gut genug für eine arbeitslose Artistin. Für eine Tänzerin aber ist es zu schäbig. Ich werde dich in einem Frauenwohnheim unterbringen.“
„Wann?“ fragte Doris Kent rasch.
„Heute noch.“
„Wie? Jetzt, mitten in der Nacht?“
„Morgen habe ich keine Zeit.“
„Na schön“, seufzte Doris Kent ergeben. „Ich verlaß mich auf dich. Du wirst es schon recht machen.“
Es erging ihr wie all den ändern vorher, die in die Hände Burt Lukins geraten waren. Sie konnte sich nicht gegen ihn auflehnen. Sie war ganz im Bann seiner dunklen Stimme. Sie fühlte sich wie hypnotisiert in seiner Nähe. Sie hätte so ziemlich alles für ihn getan.
„Wir holen jetzt deine Sachen“, meinte Burt Lukin gleichgültig. „Sehr viel ist es ja nicht. Anschließend fahren wir zum Wapping Basin. Dort ist das Frauenwohnheim, von dem ich eben erzählte.“
Doris Kent war es recht, daß sich jemand um sie kümmerte. Vorhin hatte sie sich noch verlassen und einsam gefühlt. Das war jetzt vorbei. Dankbar und zärtlich blickte sie Burt Lukin an. „Warum machst du dir soviel Mühe mit mir?“ fragte sie forschend. „Warum tust du das alles für mich?“
„Sieh mal in den Spiegel“, sagte Burt
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