Kommissar Morry - Ich habe Angst
Kastanien aus dem Feuer holen? Oder wird er mich wieder bedrohen und erpressen?
Sie schritt über den knirschenden Kies der Parkwege. Es war still und einsam unter den kahlen Bäumen. Nur der Wind raschelte in den welken Blättern, die haufenweise an den Wegrändern lagen. Kein Mensch hielt sich auf den versteckten Bänken auf. Es gab weder Liebespärchen noch Spaziergänger. Es war viel zu kalt und ungemütlich, als daß sich jemand ausgerechnet in dieser windigen Nacht auf eine solche Bank gesetzt hätte. Aber Esther Harras tat es. Sie ließ sich nieder und schlug fröstelnd die Beine übereinander. Nervös wippte sie mit den Schuhen. Ihre schmalen Hände hielten die Handtasche umkrampft. Ängstlich horchte sie nach allen Seiten. Fast war sie erleichtert, als sie endlich Schritte hörte. Sie wandte ruckartig den Kopf zur Seite. Ihre Blicke bohrten sich in die Finsternis. Sie sah einen stämmigen, untersetzten Mann, der einen dunklen Herbstmantel trug. Er wirkte darin plump und schwerfällig. Das Gesicht war ein undeutlicher, weißer Fleck. Die Schritte kamen rasch näher. Es war Alban Lampard, der aus dem Zwielicht der Nacht tauchte. Er setzte sich neben sie auf die Bank. Esther Harras hatte das Gefühl, als gingen Kälte, Grauen und Entsetzen von ihm aus.
Sie fürchtete sich plötzlich. Sie rückte scheu zur Seite. Ihre Stimme gab kaum einen Ton, als sie sagte: „Warum ließen Sie mich rufen, Mr. Lampard?"
Eine mißtönende, blecherne Stimme prallte auf sie ein. „Sie waren gestern in der Wohnung Henry Boswells, nicht wahr?"
„Ja, natürlich. Sie gaben mir doch den Auftrag.“
„Haben Sie Henry Boswell angetroffen?"
„Ja."
„Weiter. Was taten Sie dann?"
„Ich begleitete ihn in Ihre Wohnung, Mr. Lam- pard. Wir hörten das Tonband ab und löschten es anschließend."
„Hat Henry Boswell den Auftrag ausgeführt? Ist er heute morgen mit Lydia Brandon nach Mala Green gefahren?"
Ja, Sir. Ich habe ihn beobachtet. Er stieg in das letzte Abteil des Zuges ein, wie verabredet."
„Seltsam", sagte Alban Lampard und seine Stimme wurde plötzlich hart und schneidend. „Nur Sie bringen es fertig, sich mit einem Toten zu unterhalten und ihn auf eine Reise zu schicken."
„Was soll das heißen?" fragte Esther Harras mit gepreßtem Atem. Ihr Herz schlug plötzlich in rasendem Wirbel.
„Henry Boswell ist tot."
„Tot?" fragte Esther Harras schaudernd.
„Hm. Er liegt seit zwei Tagen im Leichenschauhaus. Er hat Selbstmord verübt. Man fand ihn verbrannt und verkrüppelt neben einem Mast der Hochspannungsleitung."
Esther Harras wußte nicht, was sie sagen sollte. Ihre Kehle war auf einmal wie ausgedörrt. Ihre Augen blickten verstört in das Dämmerdunkel des Parks.
„Es ist nicht anzunehmen, daß Henry Boswell von den Toten auferstanden ist", knurrte Alban Lampard bösartig. „Mit wem haben Sie sich also unterhalten, Miß Harras? Wer war der Mann?“
„Ich weiß nicht, Sir!"
„Sie wissen es nicht?"
Esther Harras nestelte verstört an ihrer Handtasche herum. Wie sie diese Stimme haßte, die wie Peitschenhiebe auf sie einschlug. Diese höhnischen Worte, die eine einzige Drohung waren. Dieses kalte, weiße Gesicht, das ihr wie eine Fratze des Todes erschien. Sie wünschte sich plötzlich weit weg aus der Nähe dieses Teufels.
„Sie müssen diesen Mann finden", zischelte Alban Lampard scharf. „Haben Sie mich verstanden, Miß Harras? Ich gebe Ihnen drei Tage Zeit. Dann will ich von Ihnen den Namen jenes Herrn wissen, der heute Vormittag Lydia Brandon nach Mala Green begleitete. Vielleicht war er ein Spitzel. Vielleicht war er auch von der Polizei. Sie können sich selbst ausmalen, was Ihnen blüht, wenn die Geschichte zum Platzen kommt."
„Wo soll ich diesen Mann suchen?" fragte Esther Harras verzweifelt.
„Das ist Ihre Sache. Der Mann muß jedenfalls weg, bevor er weiteren Schaden anrichten kann. Wir verstehen uns doch, nicht wahr?"
Esther Harras konnte nur nicken. Zum Sprechen fehlte ihr die Kraft. Sie hatte alle Selbstsicherheit verloren. Im Moment war nichts Damenhaftes mehr an ihr. Ängstlich und verschüchtert kauerte sie auf der Bank.
„Wurde die Wohnung Henry Boswells schon durchsucht?" fragte Alban Lampard lauernd. „Haben Sie alles belastende Material vernichten lassen?"
„Bis jetzt nicht, Sir."
Alban Lampard dämpfte seine Stimme zu einem gehässigen Raunen. „Sie arbeiten auffallend schlecht in der letzten Zeit, Miß Harras!" stieß er durch die Zähne. „Auffällig schlecht.
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