Kommissar Stefan Meissner 01 - Eine schoene Leich
weiter.« Naum starrte auf seine Hände, als könnten sie ihm etwas Wichtiges mitteilen. »Warum fragen Sie nach der Krawatte?«, fragte er.
»Frau Stein wurde erdrosselt. Mit eben jener Krawatte.«
Naum schlug die Hände, die er eben noch angestarrt hatte, vors Gesicht.
»Wir brauchen eine DNA -Probe von Ihnen. Bekommen wir sie freiwillig?«, fragte Meißner.
»Was?«
»Wir brauchen einen Abstrich von Ihrer Mundschleimhaut. Tut nicht weh.«
Naum nickte. »Ich habe sie verehrt«, sagte er. »Es war doch alles nur ein Spiel.«
»Ach ja?«, fragte Meißner. »Sieht fast so aus, als hätte Ihr Spiel sie das Leben gekostet.«
Naum ließ sich ohne Widerstand die Speichelprobe abnehmen. Er wirkte auch noch apathisch, als Meißner ihn in eine der Zellen im Untergeschoss brachte.
»Mehr haben Sie uns nicht zu sagen?«, fragte er, als er die Gittertür abschloss.
Naum schüttelte den Kopf und drehte ihm den Rücken zu.
»Und?«, fragte Holler, als der Hauptkommissar in den zweiten Stock zurückkam.
»Jetzt gehen wir erst mal nach Hause«, sagte Meißner. »Und wenn du wissen willst, was ich von ihm halte: gar nichts. Wir warten einfach das Ergebnis der Probe ab, dann wissen wir mit Bestimmtheit mehr.«
»Dann haben wir ihn, oder wir suchen weiter.«
»Genau.«
Meißner bot Marlu an, sie nach Hause zu fahren, aber sie lehnte ab. Sie wollte lieber noch ein paar Meter zu Fuß gehen.
Das ist gescheit von ihr, dachte er. Wer weiß, was sonst noch alles passieren würde.
In seiner Wohnung schenkte er sich ein Glas von dem offenen Toscanella ein. Er schmeckte so bitter, dass er den Schluck, den er genommen hatte, ins Spülbecken spuckte. Er fühlte sich zugleich aufgekratzt und erschöpft. Er hatte ein Bild vor Augen, das er nicht mehr verscheuchen wollte: Er sah seine Hände, wie sie das rote Tangokleid über Marlus Oberschenkel bis zur Hüfte nach oben schoben. Dazu ihre nackten Füße, die in den hochhackigen Schuhen steckten. Und dann fiel ihm auch noch ein, dass sie keinen Slip angehabt hatte. War das wirklich so gewesen? Er drehte den Wasserhahn auf und spülte das Weinglas aus. Nein, sie hatte nichts druntergehabt. Keinen BH , keinen Slip. Er war zu erschöpft, um weiter darüber nachzudenken.
Die Theateraktion war immerhin geglückt. Sie hatten den Spieler. Das Wochenende würde er im Präsidium verbringen, um dort in Ruhe über alles nachdenken zu können, was er angerichtet hatte.
Beim Zähneputzen kam ihm Viktor Grünberg in den Sinn. Sie mussten noch Geduld haben. Ein paar Steinchen in diesem Fall passten nun schon zueinander, aber die meisten fehlten noch immer. Es ergab sich noch kein wirklich vollständiges Bild. Ganz wie im richtigen Leben, dachte er.
Im Bett fiel ihm Carola wieder ein, Carola mit ihrem dicken Bauch. Er neigte dazu, ihr die Verantwortung für ihre Trennung und sein daraus folgendes Alleinleben zuzuschieben, aber ihre Schwangerschaft brachte ihn jetzt völlig aus dem Tritt. Sein Singleleben war Reaktion und Folge ihrer Trennung. Er hatte es sich nicht ausgesucht. Aber ihr Zustand war etwas anderes, etwas Lebendiges, Aktives. Er war neues Handeln. Das Ruder herumzureißen, dem Leben noch einmal eine Wende und eine neue Bedeutung zu geben, das war fast beneidenswert. Sich einzulassen und durchzustarten. War ihm deshalb die Sache mit Marlu passiert?
Carola hatte ihm auf ziemlich schamlose Weise vorgeführt, was das Leben sein konnte, wenn man aufhörte, sich zu verkriechen und wie ein scheckiges Pony im Hippodrom seine immergleichen Runden zu drehen.
Er kroch aus dem Bett und machte sich eine Flasche Burgenländer Welschriesling auf.
Vielleicht hatte sich Roxannes Ehemann ja genauso gefühlt, als sie ihn verlassen hatte. Fast zwanzig Jahre gemeinsames Leben. Und dann fing sie noch einmal von vorne an, noch dazu mit einem neuen Partner. Oder nein, sie hatte nicht von vorne angefangen, sie hatte einfach an einer anderen Stelle wieder eingesetzt und war in eine neue Richtung davongegangen, während er in seinem alten Leben kleben blieb und dort weitermachen musste, wo sie den großen Schnitt gemacht und den Graben gezogen hatte. Er lebte einfach weiter, nur eben jetzt ohne sie. In dem Haus, das sie gemeinsam ausgebaut und bewohnt hatten, mit den Kindern, die sie gemeinsam gezeugt und großgezogen hatten. Ein Lebensraum, in dem es nun von so vielen blind gewordenen Flecken wimmelte und durch dessen ausgelegte Fangschlingen er stolpern musste. Wie konnte man an einem solchen Ort
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