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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Ich war ungefähr eine halbe Stunde da. Und dann wollte ich wieder gehen. Aus irgendeinem Grund wollte ich nicht wieder an der dunklen Stelle vorübergehen. Deshalb bin ich am Wiesenrand geblieben.«
    »Ja?« fragte er.
    »Aber ich mußte trotzdem hinsehen. Es sah aus wie ein großer Müllsack, so ein schwarzer aus Plastik. Ich wollte weiter, blieb dann aber doch stehen. Etwas schien aus dem Sack herauszuhängen. Und dann dachte ich, es sei vielleicht ein totes Tier. Ich trat ein paar Schritt zurück. Ich weiß nicht, wie weit weg ich stand, als ich ihren langen Zopf sah. Und dann sah ich das Gummiband. Und wußte Bescheid.« Sie verstummte und schüttelte ungläubig den Kopf. Sejer wollte sie nicht unterbrechen.
    »Ein Gummiband für die Haare. Und dann bin ich losgerannt«, sagte sie. »Zu Gunwalds Haus. Hab an die Tür gehämmert. Geschrien, wir müßten die Polizei alarmieren. Auf der Wiese liege eine Leiche. Gunwald hatte schreckliche Angst. Er ist nicht mehr der Jüngste. Dann habe ich auf seinem Sofa gewartet. Er sitzt immer noch da. Es ist nicht weit von seinem Haus entfernt. Er muß sie doch schreien gehört haben?«
    »Er hat nur leises Rufen gehört.«
    »Sicher hatte er den Fernseher laufen«, sagte sie zaghaft.
    »Vielleicht. Wo wohnen Sie eigentlich?«
    »Weiter in Richtung Ortskern.«
    Er nickte und reichte ihr das Mobiltelefon.
    »Sie möchten vielleicht jemanden anrufen?«
    »Nein«
    »Sie müssen mit uns zur Wache kommen. Das kann dauern. Aber wir bringen Sie anschließend nach Hause.«
    Er sah sie an und räusperte sich vorsichtig.
    »Haben Sie unter Ihren Schuhen nachgesehen?«
    Sie blickte ihn verwirrt an und begriff nicht. Bückte sich dann und zog die Schuhe aus, dünne Sommerschuhe mit weißer Gummisohle. »Das ist ja Blut«, sagte sie ängstlich. »Das versteh ich nicht. Ich war doch weit weg.«
    »Gibt es in Elvestad Menschen ausländischer Herkunft?« fragte Sejer dann.
    »Zwei Familien. Eine aus Vietnam und eine aus Korea. Sie heißen Thuan und Tee. Sie wohnen schon seit Jahren hier. Alle kennen sie. Aber von denen kann es niemand sein.«
    »Wirklich nicht?« fragte er.
    »Nein«, sagte sie energisch und schüttelte den Kopf. »Von denen kann das niemand sein.«
    Dann starrte sie wieder die Wiese an. »Daß ich wirklich glauben konnte, das sei ein Müllsack«, sagte sie.
     

GUNDER SASS NOCH IMMER IN SEINEM SESSEL, 
    als es Morgen wurde. Er hatte in einer völlig unmöglichen Haltung geschlafen. Als das Telefon klingelte, fuhr er hoch, stürzte hinüber und riß den Hörer von der Gabel. Es war Kollege Bjørnsson.
    »Willst du auch heute zu Hause arbeiten?«
    »Nein«, keuchte Gunder. Und mußte sich auf den Schreibtisch stützen. Er war zu schnell aufgesprungen. »Bist du krank?« fragte Bjørnsson.
    Gunder starrte auf die Uhr und erschrak darüber, wie spät es schon war. In seinem Kopf schien eine wütende Ader zu pulsieren.
    »Nein. Meine Schwester«, sagte er. »Sie liegt im Krankenhaus. Ich muß jetzt los«, fügte er hinzu, ohne das wirklich zu meinen, aber in seinem Kopf herrschte Chaos, und er hatte keine Ahnung, wie er diesen Tag bewältigen sollte. »Ich rufe nachher an und sage genauer Bescheid.« Dann taumelte er ins Bad. Zog sich aus. Duschte bei weit offener Tür, um das Telefon hören zu können, wenn es wieder klingelte. Aber das tat es nicht. Danach rief er im Krankenhaus an. Es gab keine Veränderung. Marie lag noch immer im Koma, doch ihr Zustand sei stabil, hieß es. Nichts ist stabil, dachte Gunder verzweifelt. Er brachte keinen Bissen hinunter, kochte sich aber eine Kanne Kaffee. Setzte sich dann zum Warten in seinen Sessel. Wo Poona wohl die Nacht verbracht hatte? Und warum sie nicht anrief? Jetzt saß er ja hier neben dem Telefon, wie ein treuer Hund. Er blieb lange so sitzen, eher schlafend als wach. Jeden Moment könnte Marie zu sich kommen, und niemand wäre dann an ihrem Bett. Jeden Moment könnte Poona anrufen und sagen: »Na, da hab ich mich aber gründlich verirrt. Kannst du mich holen kommen?« Und dann ihr Lachen, vielleicht ein wenig verlegen. Aber die Zeit verging, und niemand rief an. Ich muß die Polizei verständigen, dachte Gunder verzweifelt. Aber dann hätte er sich auch eingestehen müssen, daß etwas passiert war. Er schaltete das Radio ein, dann ging er zu seinem Schreibtisch und blieb dort stehen. Er hörte, wie das Radio alles Leid der Welt zusammenfaßte. Er hatte es ganz leise gestellt, hörte aber trotzdem jedes Wort, ohne daß diese

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