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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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Gesicht. Einar musterte ihn verwirrt. »Das ist aber eine seltsame Frage.«
    »Ich bin nur neugierig«, sagte Skarre. »Ich habe sie doch nie gesehen.«
    »Sie haben sie nie gesehen?«
    »Erst, als es zu spät war.«
    Einar kniff die Augen zusammen.
    »Na, was heißt schon schön.« Er blickte auf seine Hände. »Ich weiß nicht so recht. Doch, irgendwie schon. Sehr exotisch. Zierlich und klein. Und dann ziehen sie sich an wie Frauen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Keine Jeans oder Trainingsanzüge, diesen hoffnungslosen Kram, in den wir uns kleiden. Aber sie hatte sehr weit vorstehende Zähne.«
    »Aber ansonsten. Wie hat sie sich verhalten? Selbstsicher? Ängstlich?«
    »Das habe ich doch schon gesagt. Sie wirkte angespannt. Verloren«, fügte er hinzu.
    »Und die Uhrzeit? Wie spät war es, als sie gegangen ist?«
    Einar runzelte die Stirn. »Vielleicht halb neun, oder so.«
    »Danke«, sagte Skarre.
    Er erhob sich und verließ das Büro. Öffnete die Klappe und ging durch das Lokal. Blieb einen Moment stehen und schaute sich um. Einar folgte ihm. Packte einen Lappen, wischte auf dem Tresen herum.
    »Den Tisch bei der Musikbox können Sie von der Theke aus nicht sehen«, sagte Skarre langsam.
    »Nein. Das habe ich doch gesagt. Ich habe nicht gesehen, wie sie gegangen ist. Ich habe nur die Tür gehört.«
    »Aber der Koffer. Sie haben gesagt, der sei braun gewesen. Wie haben Sie das sehen können?«
    Einar biß sich auf die Lippe. »Ach, sicher bin ich durch das Lokal gegangen. Ich weiß das nicht mehr genau.«
    »Na gut«, sagte Skarre. »Dann erst mal vielen Dank.«
    »Himmel, das ist doch selbstverständlich.«
    Skarre machte vier Schritte und blieb dann wieder stehen.
    »Noch etwas«, er hob den Zeigefinger zum Mund. »Ganz ehrlich. Nach zahllosen Aufrufen in Presse und Fernsehen, in denen um Auskünfte über die Ausländerin gebeten wurde, die am 20. in Elvestad aufgetaucht ist – warum um Himmels willen haben Sie sich nicht gemeldet?«
    Einar ließ den Lappen los. Über seine Gesicht huschte ein Ausdruck von Angst.
    »Ich weiß nicht«, sagte er. Seine Augen flackerten.
    First we take Manhattan, dachte Skarre. Then we take Berlin.
     
    Linda war in der Zeitung als Person erwähnt, die eine wichtige Aussage gemacht hatte. Ohne Namen, natürlich. Aber trotzdem. Sie fuhr ziellos umher, um sich sehen zu lassen. Niemand wußte Bescheid, nur Karen. Und ihre Mutter. Die ließ ihr keine Ruhe.
    »Aber Himmel, was hast du denn bloß gesehen?«
    »Fast gar nichts«, sagte Linda. »Aber vielleicht fällt mir ja noch mehr ein.« Sie hatte Jacob schon angerufen. Und von den blonden Haaren erzählt. Dem Aufkleber am Fenster. Hatte gespürt, wie wertvoll sie endlich war. Sie fuhr in Richtung Ortskern, rechts lag Gunwalds Laden. Davor stand ein altes Moped. Obwohl sie nie bei Gunwald einkaufte, konnte sie doch hineinschauen und eine Bemerkung fallen lassen. Diese Bemerkung würde wie ein Schmetterling von Ohr zu Ohr flattern, nämlich, daß sie, Linda Carling, die Zeugin mit dem Fahrrad war. Die Leute würden sie ansehen, zu ihr kommen, über sie reden.
    Linda hat den Mörder gesehen .
    Der Laden hatte einen ganz besonderen Geruch. Es roch nach Brot, Kaffee und süßer Schokolade. Sie nickte dem Händler zu und ging zur Eistruhe. Ließ sich Zeit. Gunwald wohnte gleich bei der Wiese. Hatte am Fenster gestanden, mußte dasselbe gesehen haben wie sie, nur aus größerer Nähe. Wenn er nicht kurzsichtig war. Er hatte dicke Brillengläser. Gunwald hatte keine von den coolen neuen Eissorten, nur Pinup und Cornetto. Sie entschied sich für ein Pinup, riß das Papier herunter und schob sich das Eis zwischen ihre spitzen Vorderzähne. Dann suchte sie in ihrer Tasche nach Geld.
    »Carling zeigt sich auch mal wieder?« fragte Gunwald. »Du bist auch jedesmal um einen halben Meter gewachsen, aber ich erkenne dich trotzdem. Du hast den Gang deiner Mutter.«
    Linda konnte solche Bemerkungen nicht ausstehen, sie lächelte aber und legte Geld auf den Tresen. Neben der Kasse lag eine aufgeschlagene Zeitung, er war in einen Artikel über den Mord vertieft. Über eine unbeschreibliche Bestialität.
    »Ich begreife das einfach nicht«, sagte Gunwald und zeigte auf die Zeitung. »Hier. In Elvestad. So ein Verbrechen. Das hätte ich nie für möglich gehalten.«
    Linda schob die Lippen über den Schokoladenguß, um ihn zum Schmelzen zu bringen.
    »Denk doch nur an diesen Mann! Jetzt kann er über sich in der Zeitung lesen«, sagte Gunwald.

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