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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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müssen Sie sich an die Wache wenden«, sagte Skarre. »Aber wo Sie schon bei mir angerufen haben, erzählen Sie, was passiert ist.«
    Er war jetzt wach. Seine Stimme war klarer. Sie erzählte von der schlagenden Tür, sie sie hatte schließen wollen. Von dem Mann, der aus der Dunkelheit hervorgesprungen war und sie gewürgt und zu Boden gedrückt hatte. Und von seiner Warnung. Daß sie nichts mehr sagen dürfe. Sie fing an zu weinen, als sie das erzählte. Fuhr sich über den schmerzenden Nacken.
    »Sind Sie verletzt?« fragte Skarre. Seine Stimme kam ihr jetzt seltsam vor.
    »Nein«, sagte sie. »Nicht wirklich. Aber wenn er gewollt hätte, dann hätte er mich auf der Stelle umbringen können. Er war sehr stark.«
    »Aber Ihre Mutter?« fragte er. »Wo ist die?«
    »Bei der Arbeit«, sagte Linda.
    »Ist sie noch nicht wieder zu Hause?«
    »Sie kommt morgen früh.«
    »Aber Sie haben angerufen und ihr alles erzählt?«
    »Nein«, sagte Linda.
    Wieder schwieg Skarre. Linda konnte seinen Atem hören.
    »Wieviel haben Sie von diesem Mann gesehen?«
    »Nichts. Im Schuppen war es stockdunkel. Aber er war groß, glaube ich. Sehr groß. Ich glaube, ich brauche Schutz«, sagte sie. »Er hat es auf mich abgesehen. Er wird alles tun, um mich am Aussagen zu hindern.«
    »Aber Sie brauchen doch sicher nicht auszusagen«, sagte Jacob. »So wichtig sind Ihre Beobachtungen nun auch wieder nicht.«
    »Aber das weiß er doch nicht«, rief sie.
    Sie biß sich auf die Lippe und verstummte wieder, hatte Angst, ihn noch mehr zu verärgern, als er ohnehin schon war.
    »Warum haben Sie Ihre Mutter nicht angerufen?« fragte Skarre mit ernster Stimme. Linda schniefte.
    »Sie sagt immer, daß ich übertreibe.«
    »Und tun Sie das?«
    »Nein!«
    »Dann müssen Sie sie sofort anrufen und ihr alles erzählen. Hat sie Telefon im Auto?«
    »Ja. Können Sie nicht herkommen?«
    »Linda. Sie haben wieder meine Privatnummer angerufen, und da kann ich nichts unternehmen. Ich kann Kollegen schicken …«
    »Das will ich nicht!«
    Skarre seufzte tief. »Versuchen Sie, Ihre Mutter zu erreichen. Das klappt bestimmt. Dann sprechen Sie mit ihr, und Sie entscheiden gemeinsam, ob Sie Anzeige erstatten wollen.«
    Linda fühlte sich ungeheuer elend. »Sie glauben mir nicht«, sagte sie kleinlaut.
    »Ich weiß, daß Sie Angst haben«, sagte Skarre diplomatisch. »In Elvestad sind schreckliche Dinge passiert. Und alle haben Angst. Das ist normal.«
    Linda steckte ein so großer Kloß im Hals, daß sie nicht mehr sprechen konnte. Er glaubte ihr nicht. Das hörte sie seiner Stimme an. Er war gereizt, sprach mit ihr wie mit einem verlogenen Kind, wollte sie aber auch nicht vor den Kopf stoßen. Sie wurde ganz schwach und mußte sich auf den Tisch stützen. Ihre Knie zitterten. Alles ging schief, egal, was sie tat. Sie hatte die Wahrheit gesagt, daß sie die beiden auf der Wiese gesehen hatte, und daß die beiden zu spielen schienen. Sie hatte nie behauptet, einen Mord gesehen zu haben. Sie hatte gesagt, das Auto habe Ähnlichkeit mit Gørans gehabt. Nicht, daß es seins gewesen sei. Sie hatte das wichtig gefunden, im Radio und im Fernsehen wurde das doch immer behauptet. Aber jetzt waren alle gegen sie. Und wenn etwas passierte, glaubten sie ihr nicht. Skarre machte einen letzten Versuch. »Ich schlage vor, daß Sie Ihre Mutter anrufen und ihr alles erklären. Dann gehen Sie schlafen und warten auf sie. Und Ihre Mutter kann die Polizei anrufen, wenn sie das für nötig hält.«
    Linda legte auf und ging wieder nach oben. Sie fühlte sich wie betäubt. Lag im Bett und starrte die Spinne an. Überall sah sie nur Feinde. Sie wurde behandelt wie eine Rotzgöre. Wieder packte die Angst sie, und sie fror entsetzlich. Sie wickelte sich in ihre Decke und schloß die Augen. Sie wollte ihre Mutter nicht anrufen. Sie wollte allein sein. Unsichtbar. Niemanden mehr stören. Niemanden anklagen, nichts sagen, nicht grüßen, nicht im Weg sein. Sie wollten sie loswerden. Das wußte sie jetzt. In ihren Ohren brummte es. Sie begriff das nicht. Sie lag einfach still da und wartete auf den Morgen. Um vier Uhr hörte sie den Schlüssel im Schloß, danach Schritte auf der Treppe. Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet. Sie konnte nichts sehen, stellte sich schlafend. Dann ging die Mutter selber ins Bett. Linda machte Licht und schaute in den Spiegel. Die Flecken an ihrem Hals leuchteten nicht mehr so sehr. War es wirklich Gøran gewesen? Seine Stimme klang anders. Und sie war sich

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