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Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie

Titel: Konrad Sejer 05 - Stumme Schreie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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würde das Schloß ganz einfach herunterfallen. Es war ein kurzer Metallstift, der durch eine Schlinge geschoben wurde. Wenn sie die Tür in Bewegung setzen könnte, würde er von selber hinausgleiten. Plötzlich öffnete sich die Tür, und sie fuhr zurück. Sie schaute zum Haus hinüber. Die Haustür stand sperrangelweit offen. Ob er dort war? Sie schlich hinaus und horchte. Schloß hinter sich die Schuppentür. Ging zögernd die Treppe hoch, gebückt wie eine alte Frau. Schaute in den Flur. Nein, dort konnte er nicht sein. Sie packte einen Schirm und stieß einige Male auf den Boden. Wenn er im Haus war, dann müßte er jetzt herangestürzt kommen. Aber niemand kam. Sie schloß die Tür ab und ging ins Wohnzimmer, überall war es leer. Was war mit dem ersten Stock? Langsam ging sie die Treppe hoch. Öffnete die Zimmertüren. Kein Mensch zu sehen. Sie ging wieder nach unten, jetzt wie eine Schlafwandlerin, und ins Badezimmer. Zog ihre Kleider aus. Verzweifelt legte sie sie in die Waschmaschine und schaltete den Kochgang ein. Sie mochte das Geräusch der Maschine und den Duft von Seifenpulver und Spülmittel. Dann duschte sie lange. Schloß unter dem heißen Wasser die Augen. Holte sich einen Morgenrock. Schaute in den Spiegel. Sie war weiß wie ein Laken. Und rote Streifen zogen sich über ihren Hals.
    Von jetzt an hältst du die Fresse ! Wessen Stimme war das gewesen? Sie hatte verzerrt geklungen, heiser und undeutlich. Er war größer als sie. Viel größer. Gøran ist nicht so groß, dachte sie. Sie wollte Jacob anrufen. Jetzt brauchte sie Schutz. Sie war nicht mehr sicher. Was würde Jacob sagen, wenn sie anrief? Vielleicht würde er ihr auch jetzt nicht glauben. Verzweifelt legte sie sich ins Bett, ließ die Lampen aber brennen. Lag mit geschlossenen Augen da. Sie war überfallen worden, und sie wußte, sie mußte Bescheid sagen, aber er hatte gesagt, sie solle die Fresse halten. Sonst würde er sie vielleicht umbringen. Das hier war nur eine Warnung gewesen. Sie starrte zur Decke hoch. Dachte daran, wie sie und ihre Mutter das Schlafzimmer renoviert hatten, und wie sie bis zur Decke gekommen waren, die eierschalenfarben gestrichen werden sollte. Jede hatte auf einem Stuhl gestanden und gestrichen und gestrichen. Sie hatte eine Spinne entdeckt und sie eine Zeitlang bewundert. Zuerst hatte sie sie wegschnippen wollen. Aber dann hatte sie sie sitzen lassen. Sie war nicht sehr groß, aber sie hatte einen runden, fülligen Leib und lange, schwarze Beine. Sie saß so reglos da, wie sie selber jetzt im Bett lag. Rasch zog sie die Rolle hinüber. Zuerst konnte sie nichts sehen, denn die Farbe war noch feucht. Sie lachte hysterisch, zusammen mit ihrer Mutter, wenn sie an diese Spinne dachte. Aber dann trocknete die Farbe, und darunter war das Insekt deutlich zu sehen, perfekt fixiert, mit strampelnden Beinen. Sie fragte sich, was das für ein Tod sein mochte. Sie starrte die Spinne an und dachte über solche Dinge nach, während sie auf den Schlaf wartete.
    Aber der wollte nicht kommen. Jedesmal, wenn sie die Augen schloß, verschlug es ihr den Atem. Manchmal weinte sie leise in ihr Kissen. Ihr Nacken tat weh. Bald würde die Mutter aus Kopenhagen zurückkommen. Oder war das Göteborg? Sie wußte es nicht mehr. Dann stand sie auf. Sie zog ihren Morgenrock an und ging ins Wohnzimmer. Starrte trotzig das Telefon an. Warum sollte sie Jacob verschonen? Sie wählte die Nummer, rasch, ohne nachzudenken. Als er sich meldete, schaute sie auf die Uhr an der Wand, die zwei zeigte. Er hörte sich verschlafen an.
    »Linda?« fragte er. Er klang deutlich genervt, aber damit hatte sie gerechnet. Es war ja schließlich mitten in der Nacht.
    »Es war keine Einbildung«, sagte sie atemlos. Erleichtert, weil sie endlich mit jemandem reden konnte. »Er hat mich überfallen. Jetzt. Heute nacht.«
    Am anderen Ende der Leitung war es still.
    »Bei Ihnen zu Hause? Im Haus?«
    »Ja. Nein, im Schuppen.«
    Wieder Schweigen.
    »Im Schuppen?« Seine Stimme klang skeptisch. »Linda«, sagte er. »Es ist mitten in der Nacht, und ich bin jetzt nicht im Dienst.«
    »Das weiß ich«, rief sie.
    »Wann ist das passiert?«
    Wieder schaute Linda auf die Uhr.
    »Ich weiß nicht genau. Vielleicht so gegen Mitternacht.«
    »Und dann rufen Sie erst jetzt an?«
    Plötzlich war sie wütend auf sich selber, weil sie nicht sofort angerufen hatte. Aber sie hatte sich doch umziehen müssen. Falls jemand käme.
    »Wenn Sie wirklich eine Anzeige machen wollen, dann

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