Korridore der Zeit
müßte, bis der Fluch irgendwie von ihr genommen war. Das war vor mehr als einem Jahr gewesen.
Ihr Vater stand vor einem ernsten Problem, und da er der Häuptling war, wurde es zu einem Problem für den ganzen Stamm. Während keine Frauen, die nicht Großmütter waren, dem Rat angehörten, hatten die Geschlechter im wesentlichen gleiche Rechte. Was sollte aus dem Erbe werden, wenn Auri kinderlos starb? Man konnte nicht sagen, daß sie gemieden wurde, aber es war doch ein bitteres Jahr für sie gewesen, bei dem sie von fast allen Ereignissen ausgeschlossen geblieben war.
Als die Fremden kamen, die unerhörte Wunder mit sich führten und einige davon sogar zum Geschenk machten, wurde das als Zeichen gewertet. Große und unbekannte Mächte wohnten in Storm und ihrem Gefährten Malcolm. Durch die Bevorzugung von Echegons Haus vernichteten sie alles Böse, das auf ihm lastete.
»Kannst du nicht bleiben?« bat Auri. »Wenn du mich im nächsten Frühjahr beehren würdest, wäre ich ... mehr als eine Frau. Der Fluch würde sich in einen Segen für mich verwandeln.«
Lockridge fühlte, wie seine Wangen brannten. »Es tut mir leid«, sagte er so freundlich, wie er konnte. »Wir können nicht warten, sondern müssen mit dem ersten Schiff abfahren.«
Sie beugte den Kopf und biß sich auf die Lippen.
»Aber ich werde bestimmt dafür sorgen, daß der Bann von dir genommen wird«, versprach er. »Morgen werde ich mit der Klugen Frau darüber sprechen. Gemeinsam finden wir bestimmt einen Weg.«
Auri tupfte ein paar Tränen fort und lächelte unsicher. »Danke. Ich wünsche immer noch, du könntest bleiben – oder im Frühjahr zurückkommen. Wenn du mir das Leben wiedergibst ...« Sie schluckte. »Es gibt keine Worte, um dir dafür zu danken.«
Wie leicht wurde man zu einem Gott, dachte Lockridge.
Um sie abzulenken, brachte er das Gespräch auf Dinge des Alltags, mit denen sie vertraut war. Sie war so überrascht, daß er sich für das Töpferhandwerk, eine Frauenarbeit, interessierte, daß sie ihren Kummer vergaß. Begeistert sprach sie dann von der Bernsteinsuche.
»Wenn wir nach einem Sturm alle zu den Dünen gehen, um zu sammeln, was angeschwemmt wurde, so ist dies eine herrliche Zeit«, sagte sie mit leuchtenden Augen. »Dann werden Fische und Austern gebraten. Warum entfesselst du keinen Sturm, solange du hier bist, Malcolm, damit auch du deinen Spaß hast? Ich kenne einen Platz, an dem die Möwen dir aus der Hand fressen, und wir können in den Brechern schwimmen und nach Strandgut suchen.«
»Ich fürchte, das Wetter entzieht sich meiner Macht«, sagte er. »Ich bin nur ein Mensch, Auri. Ich verfüge über einige Kräfte, aber sie sind nicht sehr bedeutend.«
»Ich glaube, daß du alles tun kannst.«
»Sprechen wir vom Bernstein. Ihr sammelt ihn hauptsächlich, um mit ihm Handel zu treiben, nicht wahr?«
Sie nickte. »Die Menschen aus dem Landesinnern wollen ihn, und das Volk hinter dem westlichen Meer, und die Männer von den Schiffen aus dem Süden.«
»Handelt ihr auch mit Feuerstein?« Er kannte die Antwort, weil er einem Meister stundenlang bei der Arbeit zugesehen hatte, aber er wollte, daß es bei einer leichten Unterhaltung blieb. Es tat gut, Auris Lachen zu hören.
»Ja, wir verkaufen auch Werkzeuge«, sagte sie. »Aber nur ins Innere des Landes. Wenn das Schiff einen andern Hafen anläuft, kann ich dann mit dir gehen, um es mir anzusehen?«
»Sicher ... wenn niemand etwas dagegen einzuwenden hat.«
»Ich möchte mit dir nach dem Süden ziehen«, sagte sie sehnsüchtig.
Er stellte sie sich auf einem Sklavenmarkt in Kreta vor, oder verwirrt und verloren in seiner eigenen Welt der Maschinen, und seufzte. »Nein, das ist unmöglich. Es tut mir leid.«
»Ich wußte es.« Ihre Stimme klang ruhig, und es schwang keine Selbstbemitleidung in ihr. Man lernte im Steinzeitalter, sich mit den Tatsachen abzufinden. Selbst ihre lange Isolierung im Schatten des Zornes hatte ihr nicht die Fähigkeit genommen, sich zu erfreuen.
Schweigend setzten sie die Fahrt fort. Allmählich kam Lockridge die ungewohnte Stille zu Bewußtsein. Gewöhnlich waren so nahe der Ortschaft mannigfaltige Geräusche zu hören – die Rufe spielender Kinder, die Stimmen der Fischer, wenn sie sich der Küste näherten, plaudernde Hausfrauen, gelegentlich der triumphierende Gesang eines Jägers, der einen Elch erlegt hatte. Aber Lockridge schwenkte rechts ein, paddelte längs der Bucht mit ihrem bewaldeten Ufer, ohne daß eine
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