Korridore der Zeit
Der Pulsschlag der Stadt drang heraus, mit ihm eine Welle ungesunder, fauliger Luft. Lockridge betrat die Stadt.
In der kurzen Zeit, die ihnen zur Verfügung gestanden hatte hatten Lockridges Berater ihm nur einen allgemeinen Lageplan der Stadt geben können. Er mußte sich auf seinen Instinkt verlassen, kannte aber mehr oder weniger die Richtung, in die er sich wenden mußte.
Branns Turm war unverkennbar gewesen mit seinem Stahlkleid und der Kugel aus blauer Flamme auf der Spitze. Er mußte etwa zwei Meilen entfernt liegen. Lockridge begann seinen Marsch. Er stellte fest, daß er die Stadt am Fuße menschlicher Behausungen betreten hatte; sie dehnte sich tief unter die Erde aus, aber dort unten hausten nur Maschinen mit einigen wenigen Ingenieuren und einer Million Sträflinge, die zwischen Abgasen und Radioaktivität kein langes Leben vor sich hatten. Schmutzige, rußige Mauern teilten einen schmalen Fußgängerweg ab. Die Luft vibrierte und stank. Um Lockridge drängten sich die Nichtstuer, Gesetzesübertreter, die noch nicht gefaßt worden waren. Ihre Kleidung war schäbig, mit ihrer talgigweißen Haut erinnerten sie an die Leiber toter Fische. Keiner von ihnen wirkte hungrig – von Maschinen hergestellte Nahrung wurde frei an jeden in der ihm zugeteilten Unterkunft verabfolgt –, aber Lockridge hatte trotzdem das Gefühl, daß seine Lungen vom Geruch ungewaschener Körper vergiftet würden.
Wo immer seine Uniform auftauchte, breitete sich Stille aus. Er brauchte sich nicht wie andere durch die Menge drängen; die Menschen drückten sich, ihm den Rücken kehrend, an die Wände, blickten zu Boden und taten, als existierten sie nicht.
Ihre Vorfahren waren noch Amerikaner gewesen!
Lockridge war froh, als er einen aufwärts führenden Gang erreichte, in dem er von seinem Schwerkraftgurt Gebrauch machen konnte. Oben lagen Stockwerke mit großen, peinlich sauberen Hallen und Korridoren. Die Türen waren geschlossen, nur wenige Gestalten bevölkerten die Räume, denn die Klasse der Techniker brauchte nicht ununterbrochen für ihren Lebensunterhalt zu arbeiten. Die Männer, denen er begegnete, trugen Uniformen aus gutem Material, und ihr Gang verriet das Wissen um ihre Stellung. Sie grüßten Lockridge.
Dann kam eine Gruppe grau gekleideter Gestalten vorüber, die von einem bewaffneten Soldaten angeführt wurde. Ihre Schädel waren kahlgeschoren, ihre Gesichter wirkten tot. Lockridge wußte, daß es sich um unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher handelte. Die genetische Kontrolle erstreckte sich noch nicht auf die ganze Persönlichkeit, noch war die Schulung immer erfolgreich. Um diesen Menschen die Maschinen hier unten anvertrauen zu können, waren ihre Gehirne durch ein Kraftfeld verhärtet worden. Vollkommene Automation wäre wirkungsvoller gewesen als der Einsatz von Zwangsarbeitern, aber man brauchte abschreckende Beispiele. Noch wichtiger war es, die Bevölkerung ständig beschäftigt zu halten. Lockridges Gesicht verriet nicht, daß er gegen aufsteigende Übelkeit ankämpfte.
Er erinnerte sich daran, daß auf die Dauer kein Staat existieren konnte, der nicht der zumindest passiven Unterstützung einer großen Mehrheit gewiß sein konnte. Hier aber herrschte letzte Scheußlichkeit. Alle, gleichgültig, welcher sozialen Klasse sie entstammten, nahmen die Herrschaft der Rangers als etwas Unabänderliches hin, konnten sich ein Leben ohne Zwang von oben nicht vorstellen, erfreuten sich sogar dieses Lebens unter ständigem Druck. Ihre Herren ernährten sie, sorgten für ihre Unterkunft, kleideten sie, trugen die Verantwortung für ihre Ausbildung, pflegten sie, wenn sie erkrankten, und dachten für sie. Man konnte hoch steigen als Ingenieur, Wissenschaftler, Soldat oder Impresario immer ausgeklügelterer und raffinierterer Vergnügungsunternehmen. Um weiterzukommen, mußte man andere ausschalten. Natürlich strebte man nicht danach, in die höchsten Stellen zu gelangen. Diese wurden durch die Entscheidungen von Maschinen besetzt, die man für klüger als jeden Sterblichen hielt, und wenn jemand das Glück hatte, in der Nähe einer solchen Größe zu arbeiten, nahm er die Gewohnheiten eines Wachhundes an.
Wie Darvast, dachte Lockridge. Ich darf nicht vergessen, hinter wessen Maske ich mich verberge. Er eilte weiter.
Die Sonne brach gerade durch die Wolken, als er die Dächer hinter sich ließ und Branns Festung zustrebte. Posten machten ihre Kontrollgänge auf den Mauern, die Rohre schwerer Waffen drohten,
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