Korsar meiner Träume
Dieses Wort« – er strich mit dem Daumen darüber – »bedeutet ›Grab‹.«
Claire ließ sich die Bedeutung dieses Wortes durch den Kopf gehen.
»Der letzte Teil des Hinweises lautet ›allein im Frieden‹. Ein Grab würde dazu passen. Glaubst du also, sie haben die Truhen hiergelassen, genug, um jeden zufriedenzustellen, der vielleicht die Karte zusammengesetzt hatte und so weit gekommen war, und dann haben sie den Rest in einem Grab versteckt?«
Claire seufzte. Da waren mehr als genug Edelsteine, um sie aus einem Leben in Armut zu erlösen, und doch schmeckte die Enttäuschung bitter in ihrem Mund. Warum, fragte sie sich, schien sie immer einen Schritt hinter dem zurück zu sein, was sie am meisten begehrte?
»Wo ist dann dieses verdammte Grab?«, wollte sie frustriert wissen.
Nates Augen wetteiferten mit dem Glitzern der Smaragde in der ersten Truhe.
»Wir haben gestern praktisch darauf gestanden.«
»Gestern?« Claire überlegte. Es war nicht in der Höhle, und auch wenn ihr Vater dort zu Tode gekommen war, glaubte sie gewiss nicht, dass er in Frieden gestorben war.
»Oh«, sie schnappte nach Luft, dann wirbelte sie herum und packte seine Unterarme.
»Es ist auf dem Friedhof. Sie haben es auf dem Gräberfeld vergraben!«
Nates Zähne schimmerten, als er lächelte.
»Auf geht’s, finden wir es heraus.«
Die Schnupftabakdose in der einen Hand, ergriff er Claires Hand mit der anderen. Sie ließen die Truhen zurück und rannten über den Sand und lachten dabei wie die Kinder, als der Sand an ihren Stiefeln zog und sie beinahe hinfielen. Nates Kraft hielt Claire auf den Beinen, und er behielt sie in seiner Nähe, als sie vom Strand zum Dschungel liefen. Sie kämpften sich über und unter Kletterpflanzen hinweg, die so dick wie Claires Arm waren, an Zweigen vorbei, die sich unter breiten, gezackten Blättern bogen, und sprangen über Wurzeln und Sträucher. Ihr Lachen erklang laut genug, um die Vögel aus ihren Schlafplätzen zu vertreiben. Affen mit sanften braunen Augen hielten bei ihrer Fellpflege inne, um sie vorbeirennen zu sehen.
Sie hielten nicht an, bis der Dschungel sich vor den zerbröckelten Überresten der Stadt lichtete und sie auf der anderen Seite anlangten, wo sich die grauen Steinplatten der Grabsteine aus dem Boden erhoben.
Als sie die niedrige Mauer zum Friedhof überquerten, verlangsamten sie respektvoll ihr Tempo. Ein Friedhof hat so etwas an sich, dachte Claire, das gedämpftes Sprechen verlangte. Selbst der Wind passte sich an. Die Brise, die zwischen den Steine wehte, war so sanft wie der Flügelschlag eines Engels.
»Ich werde dort drüben nachsehen«, sagte Claire, zog ihre Hand aus der von Nate und ging nach rechts.
Sie passte auf, wohin sie trat, und als sie die Namen und die Daten auf den Steinen las, konnte sie nicht anders, sie war gerührt. Einige waren so jung gestorben. Sie waren Söhne und Töchter, Ehefrauen und Ehemänner. Sie hatten gelebt, und die Tatsache, dass sie jemandem so wichtig gewesen waren, dass er den Platz markierte, wo sie lagen, bewies, dass ihre Zeit auf Erden geschätzt worden war. Sie hatte etwas bedeutet.
Und hier stand sie nun, dachte Claire und verzog ihr Gesicht, und ging zwischen ihnen herum auf der Suche nach Gold.
Angewidert ließ sie den Rest der Steine ungelesen. Sie konnte es nicht, sie würde keine Schaufel an diesen Ort bringen, in der Hoffnung, reich zu werden.
»Was ist denn?«, fragte Nate und sprach wieder lauter, sobald sie zurück über die niedrige Mauer getreten waren.
Claire deutete auf die Gräber.
»Ich kann mich nicht dazu entschließen, Reichtümer unter den Toten zu suchen. Es ist barbarisch.« Sie schauderte.
»Es ist unmenschlich.«
Bei ihren Worten schien Nate die Angst mit eiskalten Händen über die Haut zu streichen. Wie viele Mal hatte er unter der Maske von Sam Steele ein Schiff ausgeplündert, hatte getötet und die Ladung gestohlen? Sein Schwert mochte zwar nicht immer die Schlacht gesucht haben, aber es war auch nie einer ausgewichen. Und es war dieses Schwert und seine Zeit auf See, die ihm mehr Reichtum verschafft hatten, als er sich je hätte erträumen können, sogar mehr noch als das, was er sich vorgestellt hatte, als er kalt und hungrig auf der Straße gelegen und von einem besseren Leben geträumt hatte.
Sie hatten einander letzte Nacht vieles gestanden, und obwohl ihm bereits eine gewaltige Last von den Schultern genommen worden war, blieb doch noch eines unerledigt. Steele. Claire konnte
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