Kräuter-Code: Zehn Kurzgeschichten aus dem schwulen Leben (German Edition)
dann João, schmuste mit ihm, fuhr durch seinen Wuschelkopf,
mi querido
. Dann Tom: „Ich möchte so gerne hier bleiben, ich
liebe Madrid.“ Noch einmal ging ich auf João zu, umarmte ihn, drückte ihn fest an mich: „Ich möchte so gerne bei dir bleiben!“
Ich sagte allen
Chao
.
Chao
sagt man in Brasilien, nicht in Madrid.
Chao
noch einmal.
Verrückt! Wie sich meine Stimmung geändert hatte – dieses Auf und Ab mit Tom, meinen Ärger darüber, ständig zurückgewiesen zu werden … Dann
lerne ich den Lockenkopf kennen, erkenne, wie gut er mir tut, wie gut mir Madrid tut, eine andere Atmosphäre, weiß für die Zukunft, dass mir anderes bevorsteht. Frankfurt ist nicht
mein Ding, es wird etwas Neues kommen.
Und João war nicht meine Zukunft, aber er hat mir gezeigt, dass es eine andere Zukunft gibt, ohne Tom, mit einem anderen Mann. Mit einem, der nicht in Madrid, oder gar in Brasilia
wohnt.
Natürlich werde ich an Tom denken
, überlegte ich, und es wird mir eine Weile wehtun, aber im Flugzeug dachte ich an João. Ihn zu berühren, seinen Lockenkopf zu
wuscheln, in seine Augen zu schauen. Dies tat nun weh, machte mich aber auch glücklich. Ich war für andere Menschen interessant. Ich musste mich nicht verstecken. Es würde sich
jemand finden.
Lied 10: Enya – Evening Falls
Ich saß an Gleis 2, am Flughafen Stuttgart. Es fuhr seit einer Stunde keine Straßenbahn, wegen technischer Störungen in der Oberleitung irgendwo in der schwäbischen Pampa.
Deprimierend.
Ich verpasste gerade sämtliche Bahnen, die mich an mein Ziel Frankfurt bringen könnten. Wäre ich nur in Madrid geblieben. So eine Scheiße! Ich war in Deutschland und hatte
Heimweh. Nicht nach Frankfurt. Sondern nach Madrid. Ich hatte ein Bauchgrummeln. Ich wollte nicht. Ich wollte zurück. Heimweh. Nach João. Nach Tom?
Im Flugzeug hatte ich weinen müssen. Ich hatte ein Manuskript gelesen, das ich lektorieren musste; eine Liebesgeschichte, eine romantische Szene kurz vor Schluss, ein Abschied. Ich
weinte.
Mann, ich bin so
loco
. Ich fühlte mich erschöpft, in der Seele krank. Ich wusste, dass ich in den nächsten Tagen nicht so weitermachen konnte. Nicht am nächsten Tag
arbeiten, nicht den Alltag leben.
Ich fuhr an den Bahnhof nach Stuttgart, mit einem Haufen unleidlicher Menschen, die nach Hause wollten. Dort merkte ich, dass ich in irgendeinem Nest mehrere Stunden festsitzen würde. Ich
fuhr nach Karlsruhe, zu Fabian, dort schlafen, am nächsten Morgen mit ihm nach Heidelberg. Ich konnte die ganze Nacht nicht einschlafen. Ich dachte nachts so oft an Gedichte, an Lieder von
Enya, an
Evening Falls
, fühlte mich melancholisch, aber gut. Besonders.
Nachts. Ideen. Einsamkeit. Trauer. Ich brauchte Trauer. Nur warum?
Ich fühlte mich, wenn ich traurig war. Ich fühlte mich, wenn ich Liebeskummer hatte. Ich fühlte mich, wenn ich Dramen durchlebte.
Ich lebte. Ich lebte, wenn ich João nachtrauerte.
Am nächsten Morgen ging es nach Heidelberg. Dort wollte ich Gloria treffen. Das erste Mal seit einem Dreivierteljahr. Ihr Schwarm würde am nächsten Morgen nach Neuseeland reisen.
Sie war nervös, ängstlich. Ich konnte sie so gut verstehen.
Tom in Madrid. Heimat.
Ich hatte mich krankgemeldet. Ich kam letztendlich spät abends nach Hause. Erschöpft. Endlich schlafen.
Mein letzter Gedanke galt João.
Lied 11: Turin Brakes – Fishing for a Dream
Ich schleppte mich durch den Tag, arbeitete nicht, musste mich aber um viele Dinge kümmern. Ich musste mich krankschreiben lassen, sonst würde ich zu all dem nicht kommen.
Ich vermisste das ziellose Umherziehen mit den beiden Brasilianern. Vermisste das megalomane Madrid, vermisste die vertraulichen Gespräche mit Tom. Malte mir Szenarien aus, wie ich für
längere Zeit nach Madrid kommen könnte, suchte mir Flüge bei Opodo aus, nach Madrid, nach Brasilia…
Stellte mir vor, wie ich im Lotto gewinne. Meinen Job kündigen, nach Madrid aufbrechen, nicht bei Tom wohnen, sondern in einem schönen Hotel im Zentrum. Und dann mit João nach
Brasilia reisen. Ich nahm das Mobiltelefon in die Hand.
„Hola Tom. Wo bist du?“
„Du wirst es nicht glauben. Ich bin gerade mit Luc in der Stadt rumgelaufen und da saßen João und Arturo auf einer Bank. Luc konnte gar nicht glauben, dass es Zufall war, er
meinte, ich hätte mich sicher verabredet mit ihnen. Habe ich aber nicht.“
Raik Thorstad
Der Duft an deinen Händen
- Basilikum -
Ich komme.
Es zieht, es pumpt, es schießt aus
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