Krank für zwei
als mir lieb war. In der letzten Viertelstunde hatte ich ein wenig an meinem Schaubild herumgekritzelt. Köster, den ich am Tag zuvor noch mit hineingeschrieben hatte, war per Alibi gleich wieder hinausgeflogen. Die Polizei würde sein Alibi überprüft haben. Schade, so ein korrupter Verwaltungschef wäre nicht die schlechteste Lösung gewesen.
Was war eigentlich weiter aus der Morphiumspur geworden? Max hatte nichts erzählt, nur daß die Sache noch nicht endgültig geklärt war. Zum wiederholten Mal blickte ich auf die Uhr. Kurz nach sieben. Im Haus war langsam Ruhe eingekehrt. Ob ich noch ein bißchen herumlaufen konnte? Heute war ich im obersten Stock gewesen. Von dort hatte man eine grandiose Aussicht über die Stadt. Allerdings hatte ich mich wohl etwas übernommen, denn danach hatte ich Schmerzen in der Seite gekriegt. Na ja, das viele Herumliegen bekam mir allerdings auch nicht. Dann lieber noch ein bißchen Bewegung.
Im Bett nebenan lag Herr Peters und schlief. Zu seiner Verärgerung war er heute noch nicht operiert worden. Irgend etwas war mit der Umstellung seiner Diabetes-Medikamente nicht glattgegangen. Jetzt mußte er sich noch zwei Tage länger gedulden.
Draußen auf dem Flur war nichts los. Das Abendessen war abgeräumt, in den Zimmern liefen die Fernseher. Im Schwesternzimmer war niemand zu sehen, vielleicht war gerade Übergabe. Zwei Stationen drüber begegnete ich Gustav. Wie immer war er bester Laune. Er schob wieder mal ein Bett durch die Gegend, auch diesmal zusammen mit dem Läufer.
»Der Blinddarm«, tönte Gustav, als er mir entgegenkam.
»Nein, der ohne Blinddarm«, gab ich zurück.
»Aber Blinddarm war’s. Ich hab’s ja gleich gesagt, woll?« Gustav hob den Daumen und war samt Läufer und Bett schon wieder verschwunden.
Als ich den Flur weiterschlenderte, sah ich Dr. Lübke in der Ferne vorbeihetzen. Ich nahm ihn nur den Bruchteil einer Sekunde wahr, konnte aber erkennen, daß er schäumte. Der arme Kerl. Er mußte völlig überfordert sein. Der Ärger mit dem Gynäkologen, die Polizei, die seine Arbeit behinderte, und dann noch die Unstimmigkeiten auf der Station. Instinktiv beschleunigte ich meinen Schritt und nahm die Richtung, in die Dr. Lübke gehastet war. Ich sah noch, wie die Tür zum Treppenhaus sich langsam schloß. Lübke mußte dort langgegangen sein. Seine Schritte waren weiter unten noch zu hören. Lautlos tappte ich hinterher und kam mir im selben Moment vor wie ein kleines Kind. Warum spionierte ich diesem Kerl hinterher? Was erwartete ich eigentlich? Ich würde mir diese Fragen später beantworten. Jetzt sah ich erstmal zu, daß ich den Mann nicht aus den Augen verlor. Zwei Stockwerke tiefer fiel vor mir wieder die Glastür ins Schloß. Lübke war auf die Drei gegangen. Wahrscheinlich hatte er nichts anderes vor, als noch mal eben mit den Schwestern zu sprechen. Die Glastür zum Gang war sperrangelweit offen und eingehakt. Auf dem Flur war Lübke allerdings nicht mehr zu sehen. Ich bewegte mich langsam vorwärts, als ich plötzlich Stimmen hörte. Laute Stimmen. Sie kamen aus Frau Merz’ Zimmer, dem Sekretariat von Dr. Peuler. Ich schaute mich um. Von der Versiegelung war nichts mehr zu sehen. Wieder waren von drinnen die Stimmen zu hören. Lübke brüllte. Das war nicht zu überhören. Die Situation erinnerte mich an die vom Vortag. Da hatte sich Lübke mit dem Gynäkologen gefetzt.
»Vertrauensbruch!« hörte ich deutlich, dann den Namen Peuler. Im Anschluß eine Antwort, die ich nicht verstehen konnte. Vorsichtig rückte ich der Tür näher, um das Gespräch mit anhören zu können. Auf dem Flur war alles totenstill. Dann allerdings ein Geräusch, ein Klicken – der Aufzug. Ich sah mich um und überlegte. Schließlich ging ich ein paar Schritte weiter. Ein weiteres Mal schaute ich mich um. Noch war der Aufzug nicht angekommen. Ich stand nun vor Peulers Tür. Auch hier war das Siegel abgenommen worden. Lautlos drückte ich die Klinke hinunter. Das Zimmer war nicht abgeschlossen. Ich hielt den Atem an. Dann war am Ende des Flurs das Geräusch des Aufzugs zu hören. Ein leises Klingeln, die Aufzugtür öffnete sich. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schloß sie blitzschnell hinter mir. Ich stand in Dr. Peulers Zimmer, und ich hatte Glück. Die Durchgangstür zum Büro seiner Sekretärin war geschlossen. Im nächsten Augenblick wurde mir klar, was ich eigentlich tat. Ich war in ein fremdes Zimmer eingedrungen. Und es gab nicht mal einen guten Grund
Weitere Kostenlose Bücher