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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Sachbearbeiter, dass er nun innerhalb einer Woche zur Rehamaßnahme müsse. Weder telefonisch noch schriftlich hatte man ihm bislang einen Termin mitgeteilt. Aufgrund seiner desolaten finanziellen Lage bat er um die notwendige Fahrkarte, die ihm weder die Krankenkasse noch der Rentenversicherungsträger noch die Kurklinik stellte. Der Mann hatte das Geld wirklich nicht, um sich aus eigener Tasche eine Fahrkarte zu kaufen. Also erklärte er, er könne die Kur nicht antreten, da er finanziell nicht in der Lage sei, für die hohen Fahrtkosten aufzukommen. Daraufhin setzte die Krankenkasse die Zahlung der Leistungen sofort aus. Sein Krankengeld lag zu diesem Zeitpunkt unter dem Hartz- IV -Satz. Obwohl alle Fakten auf dem Tisch lagen, der Mann sogar formell richtig eine Aufstockung beantragt hatte und generell darauf achtete, in allen Ämtern und Behörden korrekte Anträge zu stellen, ließ man ihn wie vorbestraft hängen – eine Art B-Priorität des Systems. In der Folge wollten ihm die Deutsche Rentenversicherung und die Krankenkasse daraus einen Strick drehen, dass er die Kur nicht angetreten hatte. Die Aussage war, er habe sich geweigert, die Rehamaßnahme anzutreten. Aber nicht genug des Elends! Dieses Faktum wurde nun auch ausschlaggebend für den Entscheid eines zukünftigen Rentenanspruchs. Der Mann legte sofort Widerspruch ein, zumal ihn auch die Rechtsabteilung von ver.di dazu ermutigt hatte. Sie war über diese Rentenangelegenheit und die ganze Vorgeschichte informiert und betrachtete den Fall mit großem Interesse. Nachbarschaftliche Fahrdienste machten es in dieser Zeit möglich, dass er zum Krankenhaus bzw. zu seinen Arzneimitteln kam. Essen, ein Stück Seife – auch dafür sorgten vielfach die aufmerksamen Nachbarn.
    Der weitere Weg des Mannes wurde gekennzeichnet durch das Ausfüllen von immer neuen Anträgen. So beantragte er beispielsweise beim zuständigen Sozialgericht eine entsprechende Leistungsverfügung, einerseits wegen der angeblichen Erschöpfung des Krankengeldes, zum anderen wegen dem Nichtausfüllen eines eingereichten Formulars für das Arbeitsamt. Eine Weile versuchte auch ein zwischenzeitlich eingeschalteter Anwalt für Sozialrecht das Recht des Mannes zu vertreten. Doch von Idealismus alleine kann auch ein Sozialanwalt nicht leben. 600 Euro betrug das Anwaltshonorar, das unser Mann nicht bezahlen konnte. Daher verfolgte der Anwalt den Fall nicht weiter. Nach zwei Jahren Behördenkrieg wurde die besagte Rehamaßnahme endlich durchgeführt. Die Fahrtkosten waren zu einem kleinen Teil übernommen. Eine Gepäckbeförderung erfolgte nicht. Zum besseren Verständnis: Steife Wirbelsäule, halbseitig gelähmt, Fortbewegung nur mit Gehhilfen möglich – versuchen Sie in diesem Zustand einmal mit einem Koffer von A nach B zu verreisen! Wenn Sie ein Optimist sind, leben Sie von der Aussicht, dass sich irgendjemand Ihrer erbarmt und Ihnen den Koffer trägt. Ein Pessimist fährt erst gar nicht los! Unser Mann machte sich nun mit einem schweren Marineseesack beladen per Bus und Bahn in Richtung Rehaklinik auf den Weg. Wie gnadenlos sind wir geworden denen gegenüber, die unserer Hilfe bedürfen! Die Kälte der Behörden, ihr Wegschauen vom konkreten Menschen, ihre Standardisierung des Menschlichen – es stinkt für mich zum Himmel!
    Für die Rückfahrt gab ihm die Verwaltung der Rehaklinik Geld, damit der Mann sich wenigstens eine Fahrkarte kaufen konnte. Dort gab es
Menschen
 – und sie waren beeindruckt vom Lebens- und Arbeitswillen dieses anständigen Mannes, der unverschuldet in Not geraten war. Nach dieser zweiten Rehamaßnahme stellte er sich trotz Krankschreibung dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. Ihm war schließlich inzwischen auch mitgeteilt worden, es sei »Erschöpfung des Krankengeldes« eingetreten, und vorübergehend würde das Arbeitsamt nun die erforderlichen Leistungen erbringen.
    Wie geht es dem Mann heute? Die Gehbehinderung hat sich verschlimmert, und trotz entsprechendem Gutachten wurde die Kostenübernahme für eine ambulante Arthroskopie am rechten Knie von der Kasse über viele Wochen hin verschleppt. Der Antrag auf Befreiung von Zuzahlungen wurde ebenfalls über Monate hinweg nicht bearbeitet. Zum Zeitpunkt meiner Recherche sind bei dem Mann allein Porto- und Kopierkosten in Höhe von 220 Euro entstanden. Die er nicht hat. Er muss bei Bekannten darum betteln, dass er bei ihnen bestimmte Anträge und angeforderte Papiere kopieren darf. Einiges hat sich inzwischen durch

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