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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Strategen des Gesundheitswesens ursprünglich nur Wettbewerbsnachteile einzelner Kassen zum Ausgleich bringen wollten, führte also nicht nur zur Schaffung einer neuen Bürokratie, sondern brachte im Effekt auch noch ein System hervor, an dem man studieren kann, wie ein Controllingtool sich in eine Instrument der Abzocke verwandelt – wider jeden Sinn des Ganzen. Ein paar Fakten:
    Nehmen wir einmal den Fall, es kommt jemand mit schizophren anmutenden Störungen in eine Praxis, so wissen die Gutgeschulten, dass es hier abrechnungstechnisch um den »Morbi- RSA « ( = an der prozentualen Sterblichkeit mit einer bestimmten Krankheit orientierter Risikostrukturausgleich) zu Schizophrenie geht. Wie man »richtig« codifiziert, also die maximale Kohle aus dem Gesundheitsfonds für den jeweiligen Kostenträger, die gesetzliche Krankenkasse, herausschlägt, lehrt ein Kundenheft der Firma »Bitmarck«, IT -Gesellschaft der DAK , des BKK -Bundesverbands und des IKK -Bundesverbands. Alles, was man hier in Anschlag bringen könnte, ist in Nummern zusammengestellt; so steht ICD F 22 für »Wahnhafte Störung«. Das ist nicht so cool. Dafür erhält die Krankenkasse aus dem Risikostrukturausgleich läppische 1006,01 Euro. Gibt der Arzt stattdessen ICD F 20 ein, für »Schizophrenie«, erhält die Kasse 6194,42. Dabei müssen die Diagnosen richtig in sogenannte HMG ( = die hierarchisierten Morbiditätsgruppen) übertragen werden: für »Wahnhafte Störung« HMG 058, für »Schizophrenie« HMG 054. Das ist der Unterschied, der den Unterschied macht.
    Diagnostiziert der Arzt »unschädlichen Gebrauch von Alkohol«, gibt es null Cent. Gibt er »schädlichen Gebrauch« an, ist die Kasse mit 55,42 Euro pro Nase dabei. Diagnostiziert er »erhöhten Zuckerwert« gibt es nichts, interpretiert er diesen als »Diabetes«, erhält die Kasse bis zu 240,62 Euro aus dem Ausgleichstopf (Morbi- RSA ). Da sollten wir doch aufpassen, dass wir nicht der Kasse zuliebe ein Land der Diabetiker werden. Fakt ist: Ein Häkchen an der richtigen Stelle, und der Rubel rollt in den erwünschten Säckel. Schauen wir auf HMG 130 (»Dialysestatus«), so heißt das in Euro 4080,54 für die Kasse. Stark im Kommen, diese Diagnose! Parallel dazu dürften im Moment die Nierenfunktionsstörungen radikal zurückgehen – dafür gibt es nämlich nur magere 0 Euro.
    Krankenkassenbetrug mit Diagnosen? Das »Westfalenblatt« veröffentlichte im Juli 2009 unter Berufung auf das Bundesversicherungsamt ( BVA ), dass man dort verstärkt gegen Betrügereien durch Krankenkassen mit Patientendiagnosen vorgehen will. So sollen Krankenkassen Ärzte durch Extrazahlungen aufgefordert haben, Diagnosen zu fälschen, um so aus dem Gesundheitsfonds Extrazahlungen zu erhalten.
    Schauen wir auf Vorgänge in den USA : Dort hat der Pharmakonzern Fresenius, zu dem die privaten HELIOS Kliniken gehören, mit dem Unternehmen Kaiser Permanente ein Konzept für eine Pauschalvergütung medizinischer Leistungen entwickelt. Wenn ich dazu die Aussagen eines ehemaligen Kaiser-Permanente-Arztes (siehe Kapitel 24 dieses Buches) nehme und sehe, wie man in den USA mit Dialysepatienten umgeht, stehen mir vor Entsetzen die Haare zu Berge. Dr. Charles Phillips erklärt, warum Kaiser-Permanente-Ärzte ein beginnendes Nierenversagen häufig nicht diagnostizieren. Sie warten ab, bis das Organ nicht mehr richtig funktioniert. Das staatliche
Medicare
-Programm finanziert die Blutwäsche mit satten Beträgen, also stürzen sich die Konzerne auf diese Therapie. Denn die muss ständig wiederholt werden, und die Pipeline spuckt die Dollars aus. Zurück nach Deutschland!
    Klar, was jetzt passiert? Die Jagdsaison der Kassen auf Codierungen ist auch hier eröffnet. Ein Halali und Affenrennen nach den »richtigen Krankheiten«, ein Wettbewerb (nicht der Liebe, nein) der Gier nach den zertifizierten und codierten Gebresten dieser Welt! Wer hat noch nicht, wer darf noch mal! Das ist politische Flickschusterei par excellence – mit spürbaren Folgen für uns Patienten und unsere Ärzte. Ab 1. Januar 2009 wurden weitere Codierungen von Krankheiten eingeführt, womit der Geldfluss aus dem ominösen Fonds zur Kasse noch intensiver reguliert wurde. Und nun geschah etwas, das ich für ein Wunder halten würde, wäre es nicht Effekt einer abstrusen Politik: Bei 80 – soll ich sagen: gern gesehenen – kodifizierten Krankheiten, zu denen u.a. Diabetes mellitus Typ I und II oder HIV gehören, stiegen die durchschnittlichen

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