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Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport

Titel: Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Renate Hartwig
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Zusatzversicherung, genau gesagt für eine Zahnversicherung von der HanseMerkur. Herr W. packte die kalte Wut. Er rief bei der Kasse an: »Wenn Sie so weitermachen, schaffen Sie sich Ihre eigenen Patienten! Wegen Ihres Umgangs mit den Mitgliedern Ihrer Kasse bekomme ich bald mal einen Herzinfarkt.« Er wolle keine Werbung für Zusatzversicherungen. Er wolle ganz einfach eine Klärung über die geforderten 38 Euro. Die Servicedame am Telefon vermittelte ihn weiter. Und nun passierte etwas, das man mit Herrn W. nicht machen sollte. Die Krankenkasse verfiel in plötzliche Freundlichkeit. Selbstverständlich, hieß es plötzlich, werde man die 38 Euro übernehmen und sie über einen »Sonderfonds« finanzieren. Herr W. möge doch bitte die generöse Vorgehensweise als Zeichen einer langjährigen guten Geschäftsbeziehung betrachten und darüber Stillschweigen bewahren.
    Der Mann legte grußlos auf und wählte meine Nummer: »Hallo, Frau Hartwig, mein Name wird Ihnen nichts sagen. Aber soll ich Ihnen einmal ein Gaunerstück erzählen?« Ob es nun ein gleich ein »Gaunerstück« war, mag dahingestellt sein. Herr W. lebt offenkundig noch immer in der Vorstellung, eine Krankenkasse sei etwas ähnlich Solides wie die Passbehörde, auf der es nur zwei Alternativen gibt: Entweder Sie haben ein Recht auf etwas, oder Sie haben kein Recht. Dass eine Krankenkasse mittlerweile für jeden Kuhhandel gut ist, daran werden wir uns gewöhnen müssen. Denn es ist politisch so gewollt. Es ist traurig, aber wahr: Wer sich wehrt und auf die Hinterfüße stellt, hat gewisse Chancen, zu seinem Recht zu kommen oder sogar auch ungerechtfertigte Forderungen durchzusetzen. Die Kassenmitarbeiter sind auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung eingestellt: Zahlen wir? Zahlen wir nicht? Man kommt Patienten – oder soll ich sagen »Kunden«? – entgegen, die etwas bringen, und man zeigt solchen auf schnöde, manchmal sogar schikanöse Weise die Schulter, die nur die Bilanz belasten. Die Dummen dieses Perspektivenwechsels im Gesundheitssystem sind an erster Stelle die Patienten. Sie sind, sofern sie sich nicht als Privatpatienten rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten, diesem System auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
    Dann – und das sind die nächsten Systemopfer – kommen die niedergelassenen Ärzte, die durch ihre Zwangsmitgliedschaft in den Kassenärztlichen Vereinigungen den Willkürmaßnahmen von Kassenärztlichen Vereinigungen und Kassen ausgeliefert sind und von denen so manch einer mit seiner Praxis um das nackte Überleben kämpft. Nicht zu vergessen: das Pflegepersonal in den Krankenhäusern, das genau wie die Ärzte dem bürokratischen und betriebswirtschaftlichen Wahnsinn ausgeliefert ist.
    Sie alle betrachten mit der Faust in der Tasche die empörende Öffentlichkeitsarbeit der Gewinner dieses Systems. Wer das ist? Das sind unter anderem die Kassenfürstinnen und Kassenfürsten, die durch gezielte Desinformation ihre wahren Interessen verschleiern und ihre Abzockmethoden als Serviceleistung kaschieren. Das sind auch die Pharmakonzerne, die mehr Marketingmitarbeiter und Lobbyisten als Forscher beschäftigen, die den Politikern Incentives ins Haus und Gesetzesvorlagen in die Feder liefern und die es sich leisten können, Preise nach Gefühl zu bestimmen. Aber nicht nur die Politik wird von Lobbyisten gesteuert. Auch die Medien sind voll im Fokus der interessierten Kreise. Mich empört es immer wieder, dass es die teuer bezahlten Presselobbyisten der Gesundheitsmafia bis in die überregionalen Blätter der Republik schaffen. Ich lese einen Artikel und kann Ihnen auf den Kopf zusagen, wer ihn in Wirklichkeit bezahlt hat. Ich nenne das
die stille Korruption
in den Medien.
    Hotline: Im November 2006 wurde bereits bekannt, wie die DAK einen ihrer Mitarbeiter als Referenten ins Bundesgesundheitsministerium entsandte, um dort zu arbeiten. Die Leipziger Volkszeitung berichtete, dass der Mann vertrauliche Informationen an seine Kasse weitergereicht hat. Der damalige Ministeriumssprecher Klaus Vater (große Koalition SPD ⁄ CDU ⁄ CSU ) bekannte: »Es ist notwendig geworden, dass sich das Bundesgesundheitsministerium von heute auf morgen von einem Mitarbeiter getrennt hat. Dieser hat vertrauliche Papiere im Zusammenhang mit der gesetzlichen Ausarbeitung der Gesundheitsreform an seine Krankenkasse weitergereicht!« Die DAK äußerte sich folgendermaßen: »Die Abordnung von Experten aus den Kassen ins Ministerium gibt es nur, weil diese die

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